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Michael Sanderling 11.05.2010 Leipzig, Gewandhaus
von rls
Michael Sanderling ist der Sohn des Dirigenten Kurt Sanderling, und wie das bei Söhnen, die in die gleiche künstlerische Richtung gehen wie ihre Väter, so ist, muß auch er sich permanenten Vergleichen mit dem Schaffen seines Vaters stellen. Das freilich tut er durchaus selbstbewußt, wie der Konzertabend im leider wieder einmal Besucherreserven offen lassenden Gewandhaus beweist. Am Programm kann's nicht gelegen haben - Pjotr Tschaikowskis Violinkonzert gehört zu den populärsten Exempeln seiner Gattung, und Dmitri Schostakowitschs 15. Sinfonie fällt eher unter die Kategorie "selten gespielte Perle, bei der man eigentlich jede Gelegenheit nutzen sollte, um ihrer habhaft zu werden".
Dazu zaubert die Personalplanungsfraktion noch ein As aus dem Ärmel, nämlich in Gestalt von Veronika Eberle an der Solovioline. Was diese gerade mal 21jährige Studentin an diesem Abend spielt, gehört nämlich zur Spitzenklasse. Daß die in ein weinrotes Spaghettiträgerkleid gehüllte Solistin erfreulich unverbraucht, aber dabei mit Intensität und enormem Einfühlungsvermögen an die Sache herangeht, merkt man allein schon daran, wie sie sichtbar auch in ihren Spielpausen die Orchesterbreaks mitgroovt. Ihre erste Passage nach dem kurzen Orchesterintro des ersten Satzes transportiert eine betörende Weichheit, aber sie bekommt auch schneidendere Passagen mit der gebotenen Schärfe problemlos hin. Dazu gesellt sich Sanderlings äußerst deutliches Dirigat des MDR Sinfonieorchesters (man merkt, daß der Dirigent häufig mit Jugendorchestern arbeitet, und entsprechend klare Anweisungen kommen auch in anderen Orchesterkontexten gut): Große Gestik erzeugt wunschgemäß auch große Klanglandschaften, und trotzdem oder gerade deshalb beeindruckt auch die kleinteilige Dynamikgestaltung in der wilden Passage vor der Kadenz. Apropos Kadenz: Bei vielen anderen Solisten kann man als Publikum hier getrost ein Schläfchen einlegen - das wäre bei Veronika Eberle ein Fehler: Sie findet genau das richtige Maß von Be- und Entschleunigung, spielt Witz, wo ihn der Komponist haben will, läßt ihre Stradivari singen und treibt sie bis an Tongrenzen in der Höhe, wo immer die Gefahr besteht, daß das Instrument wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten hat, oder ein wildgewordenes Ondes Martenot klingt. Hier nicht! Das Orchester läßt sich von dieser Leistung gerne anstecken, nimmt alle Kurven in der Reprise gekonnt, und Sanderling portioniert auch noch exakt die richtige Dosis Energie im Schlußteil dieses Allegro moderato. Die ideale Portionierung gelingt in der Canzonetta an zweiter Position nicht durchgehend: Für die Violinenwiese mit gelegentlichem slawischem Melodiesumpf agieren die Hörner und das Holz einen Tick zu laut. Dafür entschädigt die teils enorme Entschleunigungswirkung, ohne in zähes Geschleppe zu verfallen, und wenn dann doch mal zugepackt werden muß, dann tut es das Orchester auch. Das Allegro vivacissimo, welches das Finale bildet, folgt attacca, und hier legen Eberle, Sanderling und das Orchester wieder eine enorme Dynamik an den Tag, dem sie etwas Feuerwasser beimengen. Außerdem kann die junge Generation das Wort "Groove" buchstabieren und packt solchen dann auch ins Midtempo-Seitenthema dieses Satzes. Sanderling setzt die Grenzen des Lautstärkereglers weit nach außen, Eberle folgt diesem Weg gerne, und auch das Orchester hat hörbar Spaß an diesem eher kontrollierten russischen Besäufnis, in dem immer wieder ein russischer Bär zu Cellogesäge herumtapst. Eberles ätherischer Einschub kurz vor Ende, der wieder die äußersten Tonhöhen berührt, läßt die Sonne aufgehen, und der speedig-lockere Schluß erzeugt, kaum daß der letzte Ton verhallt ist, laute Bravorufe, für die sich die Solistin mit einer kantablen Zugabe bedankt, die allerdings einige Schwankungen im Eskapismusgrad (wenngleich auf hohem bis sehr hohem Niveau) aufweist: dem zweiten Satz aus Sergej Prokofjews Sonate für Violine solo D-Dur.
Dmitri Schostakowisch hat in seiner 15. und letzten Sinfonie sein Leben zusammengefaßt, wenngleich nicht ganz in chronologischer Reihenfolge - so ganz schwarz-weiß wie die Sinfonie lief es dann doch nicht ab. Aber diese Färbungskontraste bekommt Sanderling junior wie schon sein Vater (von dem gibt es eine Aufnahme besagter Sinfonie mit dem Berliner Sinfonieorchester aus dem Jahre 1979) hervorragend hin: Programmgemäß nehmen er und das MDR Sinfonieorchester das eröffnende Allegretto mit einer Helligkeit, die schon in den Augen schmerzt. Freche Flöten mischen sich in die klingenden Glöckchen, ein noch frecheres Fagott übernimmt die Linie, und immer wieder finden sich die zirkusartigen Anklänge, die sich wie ein roter Faden durch Schostakowitschs gesamtes Werk ziehen. Das Gesäge rings um die große Trommel ist hier noch wilder als gewöhnlich, weil der Rezensent nur wenige Meter von den Celli entfernt sitzt, und die unmittelbar anschließende Passage erlaubt mit den fast fern wirkenden 1. Violinen erstaunliche Stereoeffekte. Aber bald ist Schluß mit lustig, denn das von Orchester und Dirigent extrem entschleunigt gespielte Adagio an zweiter Satzposition bläst Trübsal mit zwei determinierenden Elementen: einem finsteren Blechchoral (leider mehrmals untight) und auch nicht viel hoffnungsvolleren Solocellopassagen, später u.a. noch durch eine Solovioline ergänzt. Ein kurzer Bombastausbruch nach vielen Minuten stirbt schnell, dann breitet sich diesmal eher ambientlastige, nicht ganz so niederschmetternde Trübsal aus, die durch einige Unsicherheiten in den Zupfstreichern und ein Blechproblem im Schluß etwas gestört wird. Das quasi attacca angeschlossene Allegretto an dritter Satzposition legt unter die locker wirkende, holzdominierte Oberfläche ein trübes Streicherakkordgerüst, und die programmgemäß absaufenden Posaunen legen schon den Grundstein für den vierten Satz, wieder ein Adagio, in dem sich allerdings Morast und gelegentliche trockene Stellen abwechseln und selbst im Morast hier und da mal eine schöne Schwertlilie in den Violinen oder im Holz aufblüht. Das Blech braucht noch eine Weile, bis es Boden findet, aber der B-A-C-H-Anklang weist die Blütentherapie als erfolgreich aus. Sanderling läßt die Lautstärke lange weit unten, das Tempo hebt er auch nicht im ersten Tutti an, welches somit im schleppenden Doombombast verbleibt. Strategie des Dirigenten scheint zu sein, die Lebensfunzel verlöschen zu lassen, und somit gerät auch der schlagzeugdominierte Vorschlußteil nicht zum Aufbäumen, bleiben die fünf Schlagzeuger fahl im Hintergrund. Der Schluß fadet mehr oder weniger aus, die Spannung steht lange, und der Applaus hat etwas Kathartisches. Stark!
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