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Annamateur & Außensaiter, Zärtlichkeiten mit Freunden, Jan Heinke   09.05.2010   Dresden, Saloppe
von mi

Es gibt viele schöne Möglichkeiten, ein sonniges Frühlingswochenende ausklingen zu lassen: mit einem Grillabend, mit Freunden bei einem guten Wein, an den Elbwiesen ... oder bei einem Openair-Konzert in der Dresdner Saloppe. Letzteres wählte ich an diesem ersten, so wunderschönen Maiwochenende des Jahres und folgte dem Ruf der Dresdner Kabarettgrößen Annamateur & Außensaiter und Zärtlichkeiten mit Freunden sowie der "One-Man-Show" Jan Heinke, die an diesem Abend ihr gemeinsames Programm "Dreckiges Tanzen" zum Besten gaben.
In der ersten Hälfte des Abends präsentierten die drei Dresdner bzw. Riesaer Institutionen eigene Kurzprogramme, die wegen ihrer grundverschiedenen Stile für Jedermann etwas zu bieten hatten und die Zeit unglaublich schnell verstreichen ließen. Begonnen mit der leicht flockigen, etwas anderen Session der selbsternannten "Musik-Kasperettisten" Christoph Walther und Stefan Schramm alias Zärtlichkeiten mit Freunden (ZMF), die durch ihre tiefsinnige Einfachheit und überschwängliche Authentizität selbst dem größten Griesgram ein Grinsen entlocken könnten und bewiesen, dass ein Schlagzeuger während eines Songs sein Instrument auch ohne rohe Gewalt in seine Einzelteile zerlegen kann, wurde das Publikum im Folgenden von Jan Heinkes beeindruckendem Soloprogramm in großes Staunen versetzt. Für alle, die ihn vorher noch nicht kannten, sollte kurz unklar sein, ob es sich bei ihm ebenso um einen Komödianten handelt, denn er begann, wie er sagte, mit einem mongolischen Volkslied. Dieses klang dann auch so, wie man sich eben ein mongolisches Volkslied vorstellt: im Wechsel zwischen Kopf- und Bruststimme gesungene Laute ohne erkennbaren Text, wie wir es sonst nur von angetrunkenen Fußballfans kennen. Doch natürlich sollte es das nicht bleiben. Tatsächlich beherrscht Jan Heinke das sogenannte "Overtone Singing". So schaute das Publikum ungläubig drein, als er plötzlich dem mongolischen Gegröle eine zweite Stimme hinzufügte ... als einzelner Sänger! Ein Mensch, der zweistimmig singt? Sowas hielten bis dato viele für eine göttliche Gabe, die nur auserwählten tibetischen Mönchen zuteil wird, doch tatsächlich handelt es sich dabei um eine antrainierbare Gesangstechnik. So blieben die Münder der Zuhörer offen stehen, als Heinke sich seiner Begabung bediente und ein zur Stadt passendes, weil barockes Stück in all seiner Virtuosität vortrug. Ein erhebendes Erlebnis, auch für mich. Zum Schluss präsentierte diese wandelnde One-Man-Show auch noch seine atemtechnischen Künste am Didgeridoo. Nicht schlecht, Herr Specht!
Als krönender Abschluss der ersten Programmhälfte gaben sich dann auch Annamateur & Außensaiter die Ehre mit einem kleinen Einblick in ihr vielfältiges Repertoire. Neben Reentko Dirks an der Gitarre spielte diesmal Christoph Schenker am Cello an der Seite von Naturgewalt Anna-Maria Scholz aka Annamateur. Mit den begrüßenden Worten "Nach dem soeben gehörten Kasperett und der Stimmlippenakrobatik nun von uns noch etwas Angina dazu" stimmte die Kombo ihren Song "Black Coffee" von ihrem 2005er Album an und schnell wusste man, weshalb dieses Trio so viele Erfolge feiert: Hoch-, nein, höchstbegabte Musiker mit musikstilistisch unterschiedlichem Ursprung und dem Mut zum Experiment paaren hier technische Raffinesse mit einem unglaublich ausgereiften musikalischen Verständnis und einer gesunden Portion Nischen-Humor. So wird allein die Coverversion von Michael Jacksons "Bad" zu einem Hör- und Sehspektakel à la Bonheur, welche das Publikum, fast unbemerkt, in rhythmische Wippbewegungen versetzte. Dass die Eingangsworte von Annamateur nicht nur als Augenzwinkern gemeint waren, blieb dem Publikum rein qualitativ verborgen. Nur der gute Beobachter sah Annamateur in instrumentalen Parts in ihren Mantelärmel husten und viel Wasser trinken. So lernte ich an diesem Abend nicht nur, dass man selbst mit einer Kaffeetasse Gitarren bedienen kann und dass sich ein Cello und ein Wah-Wah durchaus gut verstehen, sondern erfuhr auch noch riesiges Mitleid und gleichzeitig große Ehrfurcht mit bzw. vor der Sängerin, trotz augenscheinlich starker Erkältung einen so lupenreinen Auftritt abzuliefern. Hut ab, Frau Mütze! Und da war schließlich auch erst eine Hälfte des Programms vorüber. Der namensgebende Teil sollte erst nach der Pause folgen.
Pünktlich zu dessen Beginn jedoch erreichte eine zweite Naturgewalt die Saloppe: Der schon für den späten Nachmittag vorhergesagte Regen hatte es nun doch bis Dresden geschafft und führte dazu, dass sich der Großteil des Publikums in müllsackähnliche Capes einhüllte, was durchaus als sowohl optisch als auch ästhetisch wertvoll bezeichnet werden konnte. Doch davon ließen sich weder Publikum noch Künstler irritieren, denn was nun folgte, war harter Tobak für die Lachmuskeln aller Anwesenden. Im Einheitslook betraten die beiden Außensaiter, Stefan Schramm von ZMF sowie Jan Heinke die Bühnenbretter und stimmten den "Kellerman Song" an, um anschließend der eigentlichen Handlung Platz zu machen: Christoph Walther von ZMF als waschechter Johnny holt, nach anfänglicher Verwechslung, "sein Baby", alias Anna-Maria Scholz, auf die Bühne, um zum von den gerade noch als "The Kellermans" aufgetretenen Musikern angestimmten Song "(I've Had) The Time Of My Life" eine Tanzchoreografie darzubieten, die ihresgleichen sucht. Ungelenk und doch grazil, einstudiert und doch spontan, wahllos und doch gezielt - der Name ist Programm. Dreckig wird hier getanzt, das Publikum lacht, bis die Tränen fließen und selbst die Künstler haben alle Mühe, ernste Miene zu behalten. Die elementare Handlung des Tanzfilms schlechthin wird hier in Kleinkunstmanier vorgetragen und steht dem Original in keinerlei Hinsicht etwas nach. Die Instrumentalisten zauberten ein musikalisches Highlight nach dem anderen aus dem Hut, mal mit Didgeridoo als Percussioninstrument, mal mit Ein-Oktav-Metallophon für die kleinen Details. Währenddessen tanzten sich die beiden Protagonisten in Ekstase, windeten und verästelten sich, begleitet vom Dialog der Liebenden, in choreografischer Meisterleistung und höhepunktierten, mit künstlerischer Freiheit, in der so berühmten Hebefigur. Einfach und doch genial! Das Publikum hätte mehr gewollt, doch die Hufeisennase verbot einen ausschweifenden Abend. Bleibt nur noch zu sagen: Die Kleinkunst ist tot, lang lebe die Kleinkunst!






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