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8. Sinfoniekonzert   14.04.2010   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Die letzte Spar- bzw. Personalabbaudiskussion in den Theatern Chemnitz, zu denen auch die Robert-Schumann-Philharmonie gehört, ist noch nicht lange her, und der Kassenfüllstand läßt nach wie vor durchaus Spielraum nach oben offen. Was tut man in einer solchen Situation als musikalisch Verantwortlicher? Klar: Man setzt Zeichen, daß man a) prinzipiell gebraucht wird und b) nicht nur prinzipiell, sondern auch in einer gewissen Personalstärke, die nicht beliebig reduzierbar ist. Was eignet sich zu einer solchen Demonstration nun besser als ein groß besetztes sinfonisches Werk? Richtig, nichts, und so steht im 8. Sinfoniekonzert Gustav Mahlers 2. Sinfonie auf dem Programm, ein Werk riesigen Ausmaßes und großer Personalbindung: Für das Orchester und den Chor (der sich aus dem Chor der Dresdner Frauenkirche und der Kantorei der Chemnitzer Kreuzkirche zusammensetzt) reicht die keineswegs als klein zu bezeichnende Bühne im Großen Saal der Chemnitzer Stadthalle gerade so aus. Daß die Chemnitzer ihr Orchester lieben und unterstützen, zeigt auch der Füllstand des anderen Hallenteils, also der Publikumsreihen, der den diverser vergangener Sinfoniekonzerte doch deutlich übertrifft.
Aber nur zum Selbstzweck ein solches Riesenwerk anzupacken und dann an ihm zu scheitern würde den Schuß nach hinten losgehen lassen - Chefdirigent Frank Beermann und seine Musiker umschiffen diese Klippe aber gekonnt, das sei hier schon vorab verraten. Schon das äußerst dynamisch genommene Intro des eröffnenden Allegro moderato verdeutlicht den unbedingten Willen zum Erfolg. Das kann manchen ein wenig nervös machen, so etwa die Hornfraktion, die ihr Thema nach dem ersten Ausbruch etwas zu hart ansetzt, allerdings bald zu der gewünschten Weichheit findet. Schön ätherisch schwebt das Harfenbreak von der Bühne, wenngleich sich der endgültige Eskapismusfaktor hier nicht einstellen will. Auch ein paar Balanceprobleme dürfen nicht verschwiegen werden: Weder die Soloflöte noch die Solovioline sehen gegen den jeweiligen Unterbau (und der besteht an den Stellen schon nicht aus vielen Instrumenten) sonderlich viel Land. Dafür entschädigt aber spätestens die Cello-Solopassage nach dem großen Niederschlag, die in ihrer Fragmentarik an einen Zahnarztbohrer erinnert. Auffällig ist, daß Beermann das Energielevel in diesem Satz (der unter dem Titel "Totenfeier" auch ein Eigenleben als Konzertstück führt) noch relativ niedrig hält, also nicht schon früh zur Materialschlacht bläst. Zudem verkürzt er die Aufführung des John-Cage-Stückes "4'33", dessen etwas ausgedehnte Aufführung Mahler zwischen dem ersten und zweiten Satz vorgeschrieben hatte, ein wenig.
Das Andante moderato an zweiter Satzposition nimmt der Dirigent als hübsch lockere Kammermusik, der spätere Ausbruch kommt wogend, aber unbedrohlich daher. Im Zupfpart wischt man gar unbequeme Gedanken an die Begleitmusik der Geschwister Caldarelli fort, dem zirkusartigen Marsch dagegen injiziert Beermann eine Dosis Schostakowitsch und gewinnt damit endgültig die Herzen der offenen Hörer, selbst wenn sich das Problem mit der Soloviolinenhörbarkeit nicht bessert. Satz 3, das Scherzo, schraubt das maximale Energielevel ein Stück weiter nach oben, und ein im ersten Einsatz nahezu perfekter Blechchoral läutet gekonnt Satz 4 "Urlicht" ein, in dem Altistin Marina Prudenskaja das Kunststück fertigbringt, mit einer fast weinerlich klingenden, klagenden Stimme zu singen, sich damit aber akustisch nicht unterbuttern zu lassen, sondern sich ausreichend Raum zu verschaffen. Das gleiche Kunststück schafft Sopranistin Astrid Weber später im letzten Satz auch. Auch bei diesem läßt Beermann im eröffnenden Vulkanausbruch noch Platz nach oben - der Kontrast zum 4. Satz, der ruhig versandet war, ist auch so groß genug, und in Richtung Satzende setzt er dann tatsächlich immer noch einen kleinen Volumenbetrag oben drauf, damit ein perfektes Händchen für innersinfonische Dynamik beweisend und zudem einen interessanten Lernprozeß beim Hörer ermöglichend, dessen Ohr sich so immer wieder in kleinen Dosen daran gewöhnen kann, die Powerparts in ihre Bestandteile zu zerlegen und beispielsweise die Streicher, die von den Blechbläsern in solchen Parts gerne mal niedergetrötet werden, noch aus dem Gesamtmix herauszufiltern. Einige kleine Zeitversatzprobleme in den ersten Soloparts des Fernorchesters sind glücklicherweise in den Passagen, wo Bühnen- und Fernorchester gleichzeitig arbeiten müssen, Vergangenheit, und die Spannung, wenn beide Fernorchester mit der Bühnenflöte arbeiten müssen, ist förmlich mit Händen zu greifen - die beim ersten Choreinsatz steht ihr allerdings in nichts nach. Freilich: Das Chorkonglomerat braucht einige Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen und zu einer einheitlichen Intonation zu finden - aber das gelingt, soweit man das durchhören kann. Vom Schlußbombast wird der Hörer hier in der Stadthalle nicht ganz so überrollt wie drei Jahre zuvor in Gera, aber das dürfte architektonische Gründe haben (in Gera ist der Saal etwas schlauchförmiger, so daß die Klangabstrahlung mit voller Wucht aufs Publikum trifft, während der Klang in Chemnitz etwas mehr in die Breite geht). Der Gesamteindruck der Sinfonie stimmt jedenfalls trotz der einzelnen Kritikpunkte (die allesamt unter "Feinschliff" fallen) äußerst positiv, und das sieht auch das Publikum so, das Dirigent, Chöre und Orchester mit lauten Bravi, langem und ausdauerndem Applaus und Standing Ovations belohnt.



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