www.Crossover-agm.de
Hochschulsinfonieorchester   09.04.2010   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Es gilt mal wieder einen Jubilar zu ehren: Robert Schumann, in der Gründungspädagogenbesetzung des Leipziger Konservatoriums vertreten gewesen, wird 200 Jahre alt. Selbstbewußt stellen Ulrich Windfuhr und sein Hochschulsinfonieorchester an den Beginn des neuen Orchesterkonzertprogramms allerdings eine Komposition, die nun gar nichts mit Schumann zu tun hat: Olivier Messiaen schrieb "Un Sourire" ("Ein Lächeln") als Hommage an den 200. Todestag Mozarts im Jahre 1991. Und während der große Amadé im 20. Jahrhundert wohl eher Tränen vergossen haben dürfte, wofür er so alles herhalten mußte - über diese zehn Minuten wird er sich vielleicht doch mal ein Lächeln abringen haben können. Windfuhr baut das Werk mit ruhiger Hand auf und bringt das Orchester tatsächlich zu einer Art "entspannter Spannung", die man durchaus als "Lächeln" übersetzen könnte, unterbrochen immer wieder durch einzelne hektisch-nervöse xylophon- und holzbläserdominierte Passagen. Noch nicht jeder Übergang des übrigens ohne Kontrabässe auskommenden Orchesterteppichs gelingt so weich wie gewünscht, manches hinterläßt doch noch einen leicht gequälten Eindruck - aber das Gesamtbild stimmt, man weiß, was gesagt werden soll. Nach einer zentralen kurzen Steigerung mit Exzelsiorglocken verfällt das Orchester "nur noch" in mehrminütige Ambientpassagen mit versöhnlichem Schluß, in dem man ohne Partiturkenntnis nicht entscheiden kann, ob die merkwürdigen Blecheinsätze nun so vorgesehen waren oder nicht (was ja die generelle Krux der ernsten Musik des 20. Jahrhunderts ist ...).
Mit dem Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102 steht ein selten gespieltes Spätwerk von Johannes Brahms, dem "Hausfreund" von Robert Schumanns Gattin/Witwe Clara, auf dem Programm. Für die Soloparts ist man im eigenen Haus fündig geworden: Violinist Rodrigo Bauzá und Cellist Tobias Bäz befinden sich an der Hochschule im Aufbau- bzw. Masterstudium. Man bemerkt überrascht, daß die beiden ja fast den gleichen Nachnamen tragen, und als sei das eine Verpflichtung, spielen sie nach kurzer Aufwärmzeit auch so perfekt miteinander, wie man sich das bei Doppelkonzerten immer wünschen würde - gerade wenn die Soloparts so ineinander verschränkt sind wie bisweilen hier bei Brahms, ist exakte Arbeit beim Aufeinandereingehen vonnöten, und dieser Aufgabe entledigen sich die beiden weitgehend ohne Fehl und Tadel. Nach einer kurzen Orchestereinleitung ist es erstmal an Bäz, für klare Verhältnisse zu sorgen, und er entledigt sich dieser Aufgabe mit expressivem, aber nicht bemüht auf Ausdruck schielendem Spiel. Auch in der Folgezeit ist er eher der weltabgewandte Teil, während Bauzá ein wenig "geerdeter" spielt, wobei sich diese beiden Komponenten aber wie erwähnt sehr gut ergänzen. Für die bisweilen eingestreuten "wienerischen" Anklänge ist eher Bauzá zuständig, und beide lassen bezüglich Kraft und Durchhörbarkeit des Spiels keine Wünsche offen. Als nach längerer Zeit das Hauptthema des ersten Satzes im Orchester landet, merkt man, daß auch die anderen Musiker samt Windfuhr hier keine Gefangenen zu machen gedenken - Power und zupackender Charakter regieren auch hier, der Dirigent springt wie ein Stehaufmännchen auf seinem Pult hin und her, arbeitet dabei aber mit sehr deutlicher Gestik. Im Andante an zweiter Satzposition malen alle gemeinsam ein perfektes Bild eines deutschen Waldes, selbst wenn der Cellist auch mal etwas dorniger agieren muß - nur das Ende gerät etwas auf die schiefe Bahn, was Nervosität verursacht, die sich erst im ersten Tutti des abschließenden Vivace non troppo löst und gleich noch Bahn für ein schön choralartiges Nebenthema bricht. Besonders in diesem dritten Satz wird die Miteinander-Arbeit der Soloinstrumente zum Gradmesser, da sie bisweilen auf engstem Raum stattzufinden hat - Bauzá und Bäz landen zweifellos im grünen Bereich. Und als das Orchester auch noch den geforderten flotten Groove hinbekommt, ist eh alles gewonnen und der Weg zu einer gelungenen Aufführung frei. Kleine Kuriosität am Rande: Das Thema mit den zwei chromatisch absteigenden Linien hat ein Dreivierteljahrhundert nach Brahms' Tod andere Liebhaber gefunden - Procul Harum bauten es noch etwas aus und machten es zum Hauptthema des Psychedelic-Prog-Epos "In Held (Twas) In I", das der jetztzeitige Musikhörer wiederum am ehesten in der Coverversion von Transatlantic (zu finden auf deren "SMPTe"-Debütalbum aus dem Jahre 2000) kennt. Sachen gibt's ...
Nach der Pause kommt dann endlich der Jubilar zum Zuge, und zwar in Gestalt seiner 3. Sinfonie Es-Dur op. 97, der sogenannten "Rheinischen". Und man staunt, mit wie wenig konkreter Arbeit man doch eine Sinfonie füllen kann, wieviel Spaß die beim Hören aber trotzdem zu machen imstande ist, wenn man sie in einer guten Interpretation wie an diesem Abend hört. Windfuhr, der hier auswendig dirigiert, steht wie jeder Dirigent vor der Frage, ob er eine bestimmte Linie in das Werk legen soll, wenn Schumann schon keine vorgibt - er entscheidet sich für eine psychologische Deutung, die er schon in der Danksagung vor Beginn des Werkes anklingen läßt, die er mit den Worten "Bevor wir uns jetzt in den Rhein stürzen ..." einleitet. Der Rhein wogt im ersten Satz, "Lebhaft" überschrieben, dann auch lebhaft durch den sehr gut gefüllten Großen Saal der Hochschule, aber viel mehr passiert an der Oberfläche nicht, während der in den Fluß gesprungene Komponist ein reges Unterwasserleben entdeckt, also von Windfuhr gekonnt transparent gemachtes Material unter der Oberfläche. Die Anweisung "Sehr mäßig" fürs Scherzo an zweiter Satzposition interpretiert der Dirigent allerdings sehr frei: Das Grundtempo bleibt speedig, der Beat allerdings locker. Die Strategie der Freilegung verborgener Schichten greift allerdings auch hier, wenn sich unter der vordergründigen Epik eine gewisse Hektik breitzumachen beginnt. Die verschwindet dann im dritten Satz namens "Nicht schnell", statt dessen entdeckt man auch am Rheinufer deutschen Wald, der dann im mit "Feierlich" überschriebenen vierten Satz abgeholzt und nach zeitgenössischer Deutung zum Bau des Kölner Doms, nach Deutung Windfuhrs aber zum Sargbau verwendet wird: Der Choral braucht einige Zeit, um tight zu werden, aber er hat was von einer Totenfeier, und das metronomgleiche Tempo über weite Strecken läßt sich auch in verschiedenste Deutungsmodelle einpassen. Die gleichermaßen düsteren wie strahlenden Posaunen (klingt paradox, ist aber so) leiten die Wende ein, die der fünfte und letzte Satz mit der Überschrift "Lebhaft" aufgreift - hier versetzen einen der Dirigent und die Studenten auf ein rheinisches Weinfest, dessen Alkoholpegel langsam steigt, so daß man für die wenigen nachdenklichen Momente ebenso wie für die auch hier zu findenden nervösen Elemente vielschichtige Deutungen finden kann. Windfuhr zieht das Tempo hier immer weiter an, selbst den Verharrungen wohnt ein deutlicher Zug nach vorne inne, bevor das Ganze in einem Triumphpart gipfelt, in dem das Blech etwas zu nervös agiert und auch der Orchesterrest das Tempo des wie eine Mixtur aus Windmühle und Autoanlaßkurbel arbeitenden Dirigenten nicht mehr mithalten möchte. Trotzdem eine gute Leistung und summiert eines der besten Konzerte, die man von diesem Orchester in jüngerer Vergangenheit gehört hat. Prost!



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver