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Flames Of Classic   14.03.2010   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Im Zeitalter der Reizüberflutung ist die Strategie, neue Reizkombinationen zu erschaffen, indem man Elemente mehrerer Kultursparten vereinigt, eine durchaus nicht selten anzutreffende. Eine derartige Vorgehensweise findet sich auch an diesem Abend, der zielgruppenseitig auf diejenigen Menschen zugeschnitten ist, denen ein auf einer stinknormal ausgeleuchteten Bühne sitzendes und musizierendes Orchester nicht genug ist. Im Rahmen des Flames Of Classic-Konzertprojektes treten eine Lasershow und Feuerelemente hinzu, wobei sich letztgenannte, das sei gleich einleitend gesagt, auf vier im Vorderfeld der Bühne postierte und gelegentlich im Takt ausbrechende Feuersäulen beschränken - man will ja schließlich den Veranstaltungsort nicht niederbrennen. Nun ist eine solche Verquickung für Klassikpuristen aber wiederum nichts, und deshalb hat die Nordböhmische Philharmonie unter Roland Mell ein eher lockeres Potpourri an Klassikhits auf den Pulten liegen, das kaum interne Bezüge aufweist und quasi einem Sampler "Best of 80ies Pop" oder so ähnlich entspräche. Die Niedrigschwelligkeit dieser Konzeption, die auch durch die fast esoterisch klingenden Ankündigungen nicht beeinflußt (eher ungewollt konterkariert) wird, stört die Anwesenden allerdings herzlich wenig - man will einen unterhaltsamen Abend für Augen wie Ohren, nicht mehr oder weniger.
Die Intromusik kommt vom Band, und zu ihr plaziert Jürgen Matkowitz, der hinter dem Orchester auf einem großen Pult hinter seinen Laserapparaten thront wie ein Seventiesrocker hinter seiner Keyboardburg, die ersten hübschen optischen Effekte auf einen kreisrunden Schirm, der immer wieder von der Hallendecke nach unten geklappt wird: Ein Frauengesicht erscheint, das die Anwesenden begrüßt und noch einmal eine recht esoterisch angehauchte Programmansage von sich gibt. Das Programm selbst läuft dann deutlich geerdeter ab, wenngleich Matkowitz durchaus auch mit psychedelisch angehauchten Lichteffekten spielt. Auf den Boden der Tatsachen holt einen allerdings schnell die Musik herab, spieltechnisch gleich im Opener, der Ouvertüre zu "Der Barbier von Sevilla", wo sich der Klangkörper eine ganze Reihe von Patzern leistet (z.B. in den Hörnern), klangtechnisch bereits im Intro, das relativ dünn aus den Boxen kommt. Letztgenanntes Problem bleibt im Opener erhalten und ist technisch bedingt: Das Orchester klingt dem Publikum nicht direkt, sondern auf dem Umweg über die Boxen entgegen, und die Soundfraktion braucht lange, bis sie zumindest zwei der drei Problemfälle gelöst hat. In den ersten Stücken knistert es in diversen Mikros immer wieder, und die Störgeräusche verhindern das Aufkommen entrückter Stimmung wirkungsvoll. Den kompletten ersten Set hindurch benötigt die Soundfraktion aber, um das Klangbild halbwegs ausgeglichen zu gestalten: Anfangs mutet die Mixtur an, als würde das halbe Orchester mehr oder weniger am jeweiligen "Rest" vorbeispielen, vor allem die Violinen sind im Gegensatz zum eher dumpf abgemischten Unterbau derart schneidend ausgefallen, daß man nur noch mit dem Kopf schüttelt. Dieses Blatt wendet sich wie erwähnt erst in Edward Elgars "Pomp And Circumstance", dem letzten Stück vor der Pause, als plötzlich eine deutlich bessere Balance aus den Boxen dringt: besser strukturierte Tiefen, besser integrierte Höhen. Und diese gute Mischung bleibt dann auch den kompletten zweiten Set hindurch erhalten. Das dritte Problem bekommt die Soundfraktion bis zum Ende des Konzertes nicht in den Griff, obwohl ein kurzer mechanischer Eingriff genügt hätte. Neben ein paar Ansagen von Roland Mell übernimmt nämlich die Sopranistin Eva Lind den größten Teil der Moderation des Abends, und ihr Kopfmikrofon ist deutlich zu weitreichend eingestellt, was man spätestens im zweiten Set bemerkt, als sie einen Mann aus dem Publikum auf die Bühne holt, um mit ihm Walzer zu tanzen - seine Worte werden nämlich schon mit verstärkt, als er noch über einen Meter von Lind entfernt ist. Das wäre nun nicht das Problem, trüge die Sopranistin keine Ohrringe, die bei jeder Bewegung ein klapperndes Geräusch von sich geben - und auch dieses Geräusch wird vom Kopfmikrofon mit übertragen und stört die Gesangsdarbietungen nachhaltig. Daß das niemand außer dem Rezensenten und seinem Begleiter (der selber in der Veranstaltungstechnikbranche arbeitet) gemerkt haben soll, erscheint äußerst fragwürdig; daß das Problem nach der Pause (in der man Frau Lind einfach hätte bitten können, die Ohrringe abzunehmen, um das nervige Geräusch abzustellen) immer noch da ist, wirft kein gutes Licht aufs Gesamtprojekt.
Was gibt es im einzelnen zu hören? Der Sevilla-Ouvertüre folgt Griegs "In der Halle des Bergkönigs", zu dem Matkowitz u.a. Griegs Gesicht und auch das des Bergkönigs auf die Leinwand lasert. Danach kommt es kurioserweise zu einer Änderung der Programmänderung (es befindet sich ein Einlegeblatt mit einer geänderten Programmfolge im Programmheft, und selbst die wird nicht eingehalten): In Charles Gounods Julia-Arie kommt Eva Lind zum ersten Mal sängerisch zum Einsatz. Sie hat eine schöne Sopranstimme, agiert anfangs einen Tick zu angestrengt, wird aber schnell lockerer - leider zu locker für den Schlußton, der schätzungsweise mindestens einen Viertelton neben der Spur liegt. Das holt das Orchester mit gut gespielter Lebendigkeit in Johann Strauß' "Unter Donner und Blitz" wieder heraus, obwohl der Donner zu hintergründig grollt, und Matkowitz kann sich lasertechnisch hier natürlich austoben und (neben wiederum dem Komponistenkonterfei) ein Gewitter an den Himmel des Gewandhauses zaubern. Über Bachs Badinerie schweigt man lieber (der Soloflötist wird nach vorn vor die ersten Violinen geholt, und wir befinden uns ja noch in dem Teil des Programms, in dem dieser Orchesterteil grell und autark eingemischt ist), und auch im 1. Satz aus Beethovens 5. Sinfonie winkt das Schicksal nur von ferne, anstatt ordentlich an die Tür zu pochen. Das größte Kuriosum des Abends bringt Lind mit "Caro nome" aus Verdis "Rigoletto" fertig: Wie man es schafft, aus einer blitzsauberen Koloratur im Vorschlußteil auf einen Schlußton, der wieder mindestens einen Viertelton neben der Spur liegt, zu springen, bleibt das Geheimnis der Sopranistin. Der spanische Tenor Raúl Alonso, der danach ins Programm eingreift, macht es in "La donna e mobile" aus der gleichen Oper deutlich besser, obwohl auch er keine Bäume ausreißt. Den ersten Set beendet wie erwähnt Elgars "Pomp And Circumstance" mit dem plötzlich deutlich besser abgemischten Orchester, wodurch man aber auch hört, daß die Posaune sowohl im ersten Teil als auch in dessen späterer Wiederholung zweimal exakt an der gleichen Stelle hängt - auch ein Kunststück ... Der Marsch-Schlußteil wird als kleine Zugabe noch einmal mit Feuersäulen wiederholt, und das Publikum stellt sein rhythmisches Unvermögen unter Beweis, als eine kleine Tempoverzögerung im Stück völliges Chaos beim Mitklatschen hervorruft.
Den zweiten Teil eröffnet wieder das moderierende Frauengesicht vor Konservenmusik, leider mit einer Moderation auf Fünftklässlerniveau - so niedrigschwellig ist das Gesamtprojekt nun auch wieder nicht angesiedelt. Über Bizets "Carmen"-Ouvertüre und Strauß' Frühlingsstimmen-Walzer (das ist das Stück, in dem Gerd aus dem Publikum mit Lind tanzen darf/muß) erreicht man Bedrich Smetanas "Moldau", laserseitig einer der Höhepunkte der Show und quasi archetypisch für das Konzept Matkowitz': handwerklich solide mit einigen Aha-Effekten (hier u.a. die wirklich hübsche figürliche Umsetzung mancher musikalischer Szenen, was sich bei dieser Musik ja auch anbietet) und einigen Fragen nach dem Warum mancher Elemente (gerade angesichts der stimmungsvollen figürlichen Umsetzung wirkt das Spielen mit dem durch die Gegend fliegenden Komponistennamen hier störend bis überflüssig). Wer die Vergangenheit von Matkowitz kennt, stellt erstaunt fest, daß man diese Attribute allesamt auch auf sein Schaffen als Chefdenker der alten DDR-Band Prinzip anwenden kann. Verdis "Aida"-Triumphmarsch läßt bezüglich der Laserelemente die gleiche Beurteilung zu, und die wirklich guten Trompeten im Orchester verdienen sich hier mal ein Extralob. Danach verläßt Matkowitz seine Laserburg und kommt nach vorne, um die Laserharfe zu bedienen, ein von ihm selber erfundenes Instrument, bei dem durch die Berührung von Laserstrahlen Töne hervorgebracht werden. Acht grüne Strahlen bilden also sein Handwerkszeug, und das klangliche Ergebnis hätte Pink Floyd sicher gefallen. Den Rest des Sets verbringt er wieder hinter seiner Apparatur. Verdis Trinklied aus "La Traviata" singen Lind und Alonso im Duett (ihre Stimmen passen erstaunlich gut zueinander, keine deckt die andere zu), und der Radetzkymarsch schließt den regulären zweiten Set mit einer energischen, aber bisweilen etwas schrägen Orchesterleistung ab. Drei Zugaben erklatscht sich das gut gelaunte Publikum noch, und nach Brahms' 5. Ungarischem Tanz, bei dem sich die figürliche Laserdarbietung erst in den Abspann und dann in einen Himmeleffekt wandelt, endet die mit knapp zweieinhalb Stunden Nettospielzeit durchaus annehmbar dimensionierte Veranstaltung. Was bleibt davon im Langzeitgedächtnis? Vermutlich fünf Dinge: ein Orchester mit Licht und Schatten, eine über weite Strecken wirklich sehenswerte Lasershow, die (geplante) Erfindung eines Instrumentes (nämlich der Laserharfe), die (ungeplante) Erfindung eines Instrumentes (nämlich der Ohrringpercussion) und das beschriebene sängerische Kunststück Eva Linds am Schluß von "Caro nome". Der Unterhaltungswert ist nicht wegzudiskutieren, Puristen werden sich in ihrem ablehnenden Urteil ein weiteres Mal bestätigt fühlen, und so sind am Ende irgendwie alle glücklich und zufrieden. Termine und weitere Infos: www.luxevents.de



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