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Der Rose Pilgerfahrt   06.03.2010   Leipzig, Altes Rathaus
von rls

Der Vorteil an großen Komponistengedenkjahren ist ja der, daß auch selten gehörte Werke des jeweiligen Jubilars wieder ans Tageslicht gezerrt werden. Robert Schumanns Oratorium "Der Rose Pilgerfahrt" ist schon in seiner Orchesterfassung eher selten auf den Spielplänen zu finden, aber die Urfassung dieses Stückes erblickt tatsächlich nur alle Jubeljahre mal das Licht der Welt, und das, obwohl sie eigentlich mit deutlich geringerem Aufwand umzusetzen ist als die Orchesterfassung. Man braucht eigentlich "nur" eine Handvoll fähiger Sänger und einen nicht minder fähigen Pianisten, um diese Klavier-plus-Gesang-Fassung (also sozusagen die Salonvariante, 1851 in Schumanns hauseigenem Musiksalon in Düsseldorf uraufgeführt - die von Schumann danach eher widerwillig erstellte Orchesterfassung wurde erst 1852 aus der Taufe gehoben) zum Leben zu erwecken. Beide Komponenten vereinigen sich an diesem Abend in glücklicher Weise unter dem Dirigat des MDR-Chordirektors Howard Arman: Rolf-Dieter Arens, Rektor der Musikhochschule Weimar, sitzt am Klavier, Anne Glocker singt die Titelpartie, und 20 Damen und Herren des MDR Rundfunkchors arbeiten gemeinschaftlich als Chor oder auch solistisch in den Nebenrollen. Das Werk besteht aus zwei Teilen mit insgesamt 24 Nummern, die teilweise fließend ineinander übergehen, und entpuppt sich in dieser basischen Salonfassung als geistvolle Unterhaltung hochromantischer Bauart, auch wenn gewisse Elemente heutzutage natürlich mehr als anachronistisch anmuten.
Die titelgebende Pilgerfahrt einer Rose, einer Art halbweltlichen Wesens, das unter Herrschaft der Elfenkönigin steht, beginnt mit dem Wunsch, die Menschenwelt kennenzulernen, weil der Reiz der Halbwelt irgendwann erloschen ist. Ergo wird aus der Rose das Menschenkind Rosa, das quasi hart landet, als die erste potentielle Gastfamilie mit einer brüsken Zurückweisung reagiert und sich dann ausgerechnet der Totengräber als Schlüssel erweist: Die Müllerstochter ist gerade "an gebrochenem Herzen" gestorben, und Rosa erweist sich als perfekter Ersatz für das Müllerehepaar, heiratet letztendlich den Sohn des Försters, und das Stück könnte zu Ende sein, wenn die Reise nicht noch eine Station vorsähe: Die Rose entschließt sich nach der Geburt ihres Kindes erneut zum Ortswechsel, da sie alles zu kennen glaubt, was die Menschenwelt ausmacht; sie übergibt dem Kind ihren Unsterblichkeitsbonus und wird von einer Engelschar an einen nicht näher bezeichneten Ort geleitet. Die Fragwürdigkeit dieser dem Hedonismus die Krone aufsetzenden Entscheidung hat Schumann schon selber erkannt und die 24. Nummer, also die Begrüßung der Rose durch den Engelschor, als bedrückende Nummer komponiert, deren Charakter die Chordamen auch perfekt düster umsetzen. Aber sie können es natürlich auch freudestrahlend, etwa in den Hochzeitsnummern 21 und 22 - wiederum setzen sie allerdings geschickt Akzente, indem die erste Hochzeitsnummer nach hinten heraus immer weiter bis zur kompletten Farblosigkeit ausgebleicht wird, bevor die Party weitergeht. Die Männerchorkompositionserfahrung, die Schumann in den Jahren zuvor gewonnen hatte, hört man "Bist du im Wald gewandelt", einer klassischen Brautwerbenummer, deutlich an, und der Beerdigungschor "Wie Blätter am Baum" schreit eigentlich förmlich nach einer Zweitverwertung im klassischen Trauermusikkanon. Die Tenor-Herren teilen sich übrigens in die Erzählerrolle hinein, wobei besonders Andreas Fischer durch extrem klare Artikulation positiv auffällt, während man ausgerechnet Kent Carlson den emotionalen Schlußpunkt, nämlich Rosas Tod, zugeordnet hat, den er zwar emotional, aber leider auch mit deutlich wahrnehmbarem englischem Akzent umsetzt. Die Chordamen überzeugen in ihren Einzelrollen über weite Strecken, und wie gut der Chor auch in dieser abgespeckten Fassung wirklich ist, verdeutlicht die beeindruckende Präzisionsarbeit etwa in "O sel'ge Zeit, da in der Brust". Da kann sich Howard Arman blind auf seine Leute verlassen - vor allem in diversen Einzelnummern dirigiert er gar nicht erst, sondern setzt sich gemütlich hin. Und einen erstklassigen Pianisten als Basis hat die Aufführung auch noch - was Rolf-Dieter Arens aus dem Geblubber in "Ei Mühle, liebe Mühle" macht, zaubert dem Hörer ein Lächeln ins Gesicht, während die Grablegung am Ende von Nr. 8 jedweder Funeral Doom-Band bestens ins Konzept gepaßt hätte. Schumanns überraschende Steilvorlagen netzen die Beteiligten jedenfalls mit Treffsicherheit ein - man höre als Exempel das "Gebet" in Nr. 10: Ein düster-schleppendes Klavier läßt den Hörer ein pathetisches Gebet Marke Wagners Elisabeth erwarten, aber über diesen Pathosteppich ordnet Schumann dann eine doch eher lockere Gesangsnummer an. Daß die Beteiligten auch solche Herausforderungen meistern, beweist ihre Klasse aufs Neue, und nur Anne Glocker in der Titelpartie fällt ein klein wenig ab: Die hübsche langmähnige Blondine hat eine schöne, leicht gedeckte Stimme, sie singt keineswegs schlecht, aber sie kann sich akustisch gegen ihre Duettpartner kaum durchsetzen, was dem Duett mit der Elfenfürstin, also Klaudia Zeiners tiefem Alt, etwas fast Diktatorisch-Bedrohendes verleiht und in "Der Abendschlummer umarmt die Flur" zu einem aussichtslosen Klangkampf gegen Sebastian Reim und so letztlich in ungewolltes Chaos führt. Aber das Gesamtbild der etwa einstündigen Aufführung überzeugt, und so spendet das Publikum im allenfalls zu zwei Dritteln gefüllten Ratssaal des Alten Rathauses auch reichlich Applaus.



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