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Hidden Timbre, Thybeaux   23.01.2010   Gera, Shalom
von rls

Manche sagen zum Abschied leise Servus - Anja Bräutigam tat's laut: Hatte ihr vorletzter geplanter Gig mit Hidden Timbre grippevirenbedingt abgesagt werden müssen, so war sie zum letzten wieder fit, bevor Familie und der schon mit auf der Bühne stehende, aber noch ungeborene Nachwuchs Priorität eingeräumt bekommen. Die Grabsteinparty eröffneten zwei Stunden nach Einlaß Thybeaux, und die hinterließen 50 Minuten später doch einige heruntergeklappte Kinnladen im Publikum. Postrock konnte man das nennen, allerdings in einer interessanten Variante: ausladend, episch, verhältnismäßig wenig lärmig, sondern klar durchstrukturiert, trotzdem "voll" - und instrumental. Zwar meint die Band, daß man auf der Suche nach einer Sängerin sei, aber nicht nur Anja fragte sich, wo denn in diese Klangwand noch eine Sängerin eingebaut werden solle. Man hatte zu keiner Sekunde das Gefühl, hier würde irgendwas fehlen. Klassische Strophe-Refrain-Schemata blieben sowieso außen vor, und die reduzierteren Passagen gewannen gerade durch ihre Reduziertheit noch an Reiz. Die Klangwand hatte zudem den Vorteil, daß sie nicht überlaut, aber dafür schön differenziert von der Bühne geschwebt kam, der Hörer also auch die Feinheiten wahrnehmen konnte. Bisweilen arbeiteten Thybeaux mit perkussiven, angenehm unaufdringlichen Elementen als Einspielungen, kamen aber an anderen Stellen auch problemlos ohne diese aus und beschränkten sich aufs Quartettrocken, dessen zum Teil minutenlangen Spannungsbogenaufbauten man gerne zuhörte. Als emotionalen Höhepunkt durfte man die kurze Verharrung kurz vor Schluß von "Athanasia" werten, die fast schlagartig von einem klassischen Altrockgitarrensolo (dem einzigen im ganzen Set) abgelöst wurde. Auch ein gut ausgetüfteltes Cellobreak mitten im Opener "Haoma" fiel positiv auf, und einer der beiden Gitarristen griff gelegentlich zu einem Geigenbogen, um damit sein Instrument zu bearbeiten. Wer die Setlist unten sieht: Nein, es fehlt nichts - die 50 Minuten Spielzeit bestritten Thybeaux tatsächlich nur mit vier Songs (was den alten Witz von Revelation ins Gedächtnis rief, wenn man auf dem Milwaukee Metal Fest spiele, wolle man einfach nur auf die Bühne kommen, das 18minütige "Never Comes Silence" spielen und dann wieder gehen), und als der Bassist den letzten Song "The 6th Meditation" ankündigte, mag der Kenner der Band (falls denn ein solcher im Publikum anwesend war) innerlich gegrinst haben, denn allein dieses Stück dauert etwa 20 Minuten. Das ist sicherlich nicht für jede Lebenslage was - aber in bestimmten Konstellationen, so etwa an diesem Abend, funktioniert die Herangehensweise von Thybeaux erstklassig, und so wurden die Dresdner vom Publikum mit für die geringe Kopfzahl recht viel Beifall belohnt. Allerdings forderte niemand eine Zugabe ein - man wollte wohl nicht noch 20 Minuten länger auf den Headliner warten ...
Setlist Thybeaux:
Haoma
Athanasia
Fratricides
The 6th Meditation
Reinhören: www.myspace.com/thybeaux

Dann also der letzte Hidden Timbre-Gig mit Anja am Mikro - für den Rezensenten zugleich der erste und der letzte. Zunächst fiel die technische Aufrüstung ins Auge: Hatte der Thybeaux-Bassist einen Fünfsaiter gespielt, packte HT-Bassist Mirko noch eine sechste dazu, und da das ein Gitarrist natürlich nicht auf sich sitzenlassen kann, spielte Andreas gar einen Achtsaiter. Das machte sich im Klangbild durchaus bezahlt, das für die Powerpassagen eine große Massivität bereithielt, wenngleich die erhöhte Lautstärke das Klangbild leider etwas verunklarte und Opfer dieses Problems ausgerechnet der Achtsaiter wurde, den man gerade in den Leadpassagen nicht so deutlich vernehmen konnte, wie das wünschenswert gewesen wäre, während die Passagen von Gitarrenkollege Clemens messerscharf aus den Boxen geflogen kamen. Hidden Timbre präsentierten sich als eingespielte Einheit, die auch hochkomplexe Passagen problemlos meistert, aber an den richtigen Stellen auch mal einen griffigen Refrain oder einen halbwegs bangkompatiblen Groove einbastelt. Das wußte man ja bereits anhand des Materials der selbstbetitelten 2007er Scheibe, die auch erwartungsgemäß den größten Teil des Sets stellte - sechs ihrer acht Songs erklangen auch im Konzert, nur auf "Tell Me" und "My World Is Bigger" verzichtete man. Und diese Tugenden waren auch anhand des Nichtalbummaterials problemlos durchhörbar - schon der druckvolle Opener "I Hate Myself" mit seinem Frickelsolo machte hochgradig Hörspaß und verdeutlichte, daß Hidden Timbre nicht an globalere stilistische Veränderungen ihrer harten, keyboardfreien und durchaus modernen Variante des Progmetals denken. Auch die beiden anderen "Zutaten", nämlich "Upon My Life" und das starke Instrumental "Unexpected", paßten sich problemlos in die große Linie des Sets ein, der zwei Höhepunkte aufwies: den der maximierten Eindringlichkeit im großen Epos "Doom" (wenngleich das weniger doomig klingt, als der Titel erwarten läßt) und den der Partystimmung in der Coverversion des Sets. Der Nichteingeweihte wird über die Wahl überrascht gewesen sein - wer hätte bei der generellen Stilistik der Band mit "Killing In The Name Of" von Rage Against The Machine gerechnet? Aber das Experiment funktionierte, diese Nummer mit weiblichen Vocals umzusetzen, wobei das Publikum hier fleißig Unterstützung gab. Überhaupt hat es Anjas Nachfolger nicht leicht: Von der Stimmfärbung und der "flächigen" Anlage her passen Anjas Stimme und die von Andreas, der ab und zu Co-Vocals übernimmt, sehr gut zusammen, und das muß der Neue (ja, es wird wahrscheinlich ein Mann sein - man probt bereits mit einem Kandidaten) erstmal an Grundeigenschaften mitbringen. Den letzten Spatenstich für den Grabstein unter die Ära Bräutigam setzte das programmatisch betitelte "End Of Days", und das Publikum war von der reichlichen Stunde Musik offenbar so geplättet, daß man zwar fleißig applaudierte, aber auf Zugabeforderungen verzichtete. So bleibt am Ende nur noch, beiden Parteien auf ihren jeweiligen Wegen alles Gute zu wünschen - man wird sich sicherlich wiedersehen.
Setlist Hidden Timbre:
I Hate Myself
At The Crossroads
Be Winded
Doom
Time To Sleep
Killing In The Name Of
Unexpected
Upon My Life
Matter Of Pride
End Of Days
Reinhören: www.myspace.com/hiddentimbre



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