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Die Brüste des Teiresias   06.12.2009   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Die Studioprojekte der Leipziger Musikhochschule, die jeweils kurz vor Jahresende im Großen Probensaal des Zweitgebäudes am Dittrichring zur Aufführung gelangen, sind ja meist etwas ganz Spezielles - das ist auch diesmal nicht anders: Auf dem Programm steht die Leipziger Erstaufführung einer komischen Oper von Francis Poulenc, "Die Brüste des Teiresias" betitelt und schon damit andeutend, daß es wohl wieder mal drunter und drüber gehen dürfte. Das trifft denn auch gleich im doppelten Sinne zu - auf die Aufführung selbst und auch auf die strukturelle Einbindung im Vorfeld: Die Kreativfraktion um Regisseurin Nicola Panzer und Musikchef Fabian Enders hatte eine "spielbare Fassung" erstellt, aber mit der waren andere Stellen in der Hochschule nicht einverstanden, was der Besucher augenfällig am leicht "beschnittenen" Programmheft erkannte (man hatte erst am Nachmittag vor der Premiere so etwas wie einen Kompromiß finden können).
Dem Besucher freilich könnten diese Dinge egal sein, für ihn zählt mehr die Frage, ob das Gebotene auf der Bühne funktioniert. Die Antwort ist ein klares Nein. Der Rezensent kennt das der Oper zugrundeliegende Theaterstück von Guillaume Apollinaire (1917) und auch die Poulenc-Originalfassung der Oper (1944) nicht und kann daher keine Detailanalysen vornehmen, ob das Kind schon damals in den Brunnen gefallen war. Die Angaben zur Handlung seien hier wörtlich aus dem Programmheft zitiert:
"Nach dem großen Krieg:
In Sansibar lebt man zurückgezogen von der bedrohlichen Außenwelt.
Der Direktor fordert: es müssen Kinder geboren werden.
Thérèse will sich emanzipieren und verwandelt sich in einen Mann.
Sie nennt sich jetzt Teiresias.
Ihr verlassener Gatte will das Kinderkriegen allein versuchen.
Presto und Lacouf streiten sich darüber, wo sie sind, ob in Paris oder Sansibar, und erschießen sich.
Ein Gendarm verliebt sich in den Gatten, der jetzt Frauenkleider trägt.
In der Tat hat er inzwischen zahllose Kinder zur Welt gebracht.
Einem Journalisten verrät er, dass Kinderreichtum auch materiellen Reichtum bedeutet.
Ein missratener Sprößling erpresst den Mutter-Vater.
Der Gendarm befürchtet Überbevölkerung und schreitet ein.
Thérèse erscheint zuguterletzt als Wahrsagerin.
Die überalterte Gesellschaft von Sansibar sieht aber ein:
Kinder müssen sein."

Ein ganzer Haufen Probleme auf einmal also. Und das ist auch die generelle Krux: Das Stück will alles und ist daher am Ende nichts. Pseudofeminismus und Pseudoantifeminismus gleichzeitig? Keine uninteressante Idee, aber praktisch unrealisierbar. So entsteht eine schwachbrüstige französische Frühversion der Umsetzung desjenigen, was Jahrzehnte später die Briten Monty Python zu hoher Reife kultivierten: britischer Slapstick-Humor. Und britischer Slapstick-Humor von einem Franzosen geht irgendwie überhaupt nicht. Das Stichwort Monty Python ist ein gutes - man erinnere sich an deren brillante Abhandlung der Feminismusfrage in der Volksfront von Judäa in "Das Leben des Brian". Diese absurde Eleganz fehlt hier mit einer Ausnahme völlig: Die geniale Szene mit den vier Kindern und dem geplagten, aber souveränen Mutter-Vater zu Beginn des zweiten Aktes (Prolog, Akt 1 und 2 gehen fast fließend ineinander über) demonstriert mit ihrem glücklichen Händchen für ebenjene absurde Eleganz, was hier hätte entstehen können. Hier sticht auch der Trumpf Dominic Große in der Rolle des Mutter-Vaters. Der singt und deklamiert nämlich als einziger der Schauspielerriege so deutlich, daß sich der (durchaus vorhandene!) Wortwitz der deutschen Fassung von Horst Georges und Josef Heinzelmann erschließt - alle anderen aber versteht man verbal kaum, und das ist hier extrem kontraproduktiv. Einen roten Faden findet man zwar sowieso nicht (Nicola Panzer kann auch nur noch zu retten versuchen, was nicht mehr zu retten ist), aber eine höhere Dichte witziger Einzelszenen wäre immer noch reizvoller gewesen als dieses verquaste Durcheinander, als das man das Gesamtbild letztlich sieht. Das Instrumentalistenquintett und der Chor (geleitet von Keigo Okuda) machen ihre Sache ordentlich und bilden neben Dominic Große so die einzigen Lichtblicke eines Stückes, das wohl ausschließlich wegen der eingangs erwähnten strukturellen Querelen in die Hochschulgeschichte eingehen wird.



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