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Finalkonzert des enviaM-Musikschulwettbewerbes   19.09.2009   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Die enviaM versorgt eine riesige Fläche der neuen Bundesländer direkt oder über Unternehmen, an denen sie beteiligt ist, mit Energie und gibt per Kulturförderung der Fläche auch wieder etwas zurück. So entstand auch der Wettbewerb "Musik für Kommunen", in dem in einer ersten Runde in Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt Musikschulvorausscheide durchgeführt wurden und sich aus jeder der drei Vorrunden eine jugendliche Kammermusikbesetzung fürs Finale an diesem lauschigen Samstagabend im Mendelssohn-Saal des Leipziger Gewandhauses qualifizierte. Freilich hätte man das Prozedere durchaus noch etwas durchsichtiger und nachvollziehbarer gestalten können: In den Vorrunden schien der Wettbewerb in zwei Alterskategorien aufgesplittet gewesen zu sein, was im Finale dann trotz des Vorhandenseins von Kandidaten aus beiden Kategorien aber keine Rolle mehr spielte. Auch die Zusammensetzung und die anzuwendenden Kriterien der Jury blieben im Dunkeln, ebenso die Frage, ob die Finalisten Stücke nach eigener Wahl spielten oder welche zugewiesen bekamen (das wäre angesichts der Doppelung eines Finalstückes durchaus interessant gewesen), und der in den Interviews mit den Finalisten leider völlig pseudocoole Moderator brachte das strukturelle Dilemma mit den in einem Satz untergebrachten Informationen, die Jury sei "sich über die Platzvergabe schnell einig gewesen" und es habe "eine geheime Abstimmung gegeben", ungewollt auf den Punkt.
Dafür hatte die Programmkonzeptionsfraktion des Finalkonzerts einen guten Riecher bewiesen, denn man verpflichtete die Deutsche Streicherphilharmonie, ein Auswahlorchester mit Mitgliedern zwischen 11 und 19 Jahren, für das "Rahmenprogramm". Dieses Orchester vereinigt Deutschlands fähigsten Streichernachwuchs und blieb für die Dauer dieses Abends auch ein reines Streichorchester, holte sich also nicht noch blasende oder schlagende Gäste hinzu. Für Benjamin Brittens "Simple Symphony", mit dem das Orchester den Abend eröffnete, wäre das auch nicht nötig gewesen, denn das Stück ist original für eine Streichorchesterbesetzung geschrieben (es gibt allerdings u.a. auch eine Streichquartettadaption). Für einen Komponisten des 20. Jahrhunderts hat sich Britten ja generell einer sehr "simplen" Tonsprache bedient, sich von all den Experimenten seiner Zeit eher ferngehalten und sich statt dessen in der Vergangenheit bedient. Da paart sich im eröffnenden Boisterous Bourrée ein barockes Intro im treibenden Midtempo mit einem fast Mahler-verdächtigen Energieteil als Höhepunkt, da verwandelt sich die Streicherphilharmonie im auf die Renaissance zurückverweisenden Playful Pizzicato mal eben in ein Zupforchester und macht selbst in dessen rasenden Passagen noch eine gute Figur, da gerät die Sentimental Sarabande den jungen Musikern unter Dirigent Michael Sanderling weniger sentimental als vielmehr hochromantisch mit dem richtigen Schuß Düsternis, um noch nicht in ein schleppendes Adagio abzukippen, und da beinhaltet das Frolicsome Finale ein Theme From An Imaginary Western, umritten von forschen, teils fugierten Tempopassagen, durch die das junge Orchester galoppiert, als gäbe es kein Morgen. Der nicht konzertgewohnte Teil des Publikums hat schon zwischen den Sätzen applaudiert, aber der Schlußapplaus fällt auch sehr herzlich aus.
Dann rein ins Wettbewerbsgeschehen: Die Reichenbacherinnen Margreta Häfer (17) und Victoria Hopfer (15) spielen in der Besetzung Cello plus Klavier. Die Sonate von César Franck, aus der es den dritten Satz zu hören gibt, ist original für Violine und Klavier geschrieben, erklingt an diesem Abend also in einer Bearbeitung. Dem hochromantischen Gestus tut das keinen Abbruch, die Instrumente behindern sich klanglich auch nicht (wie man das bei Neuarrangements ja leider nicht selten hören muß), und die beiden Mädels schaffen es, viel Spannung vor allem in den Schlußteil zu legen. Trotzdem ist hier noch eine Steigerung drin, aber die kommt mit dem 4. Satz aus Schostakowitschs Sonate für Cello und Klavier op. 40 nur partiell, denn nach dem sich gelungen durch den Quintenzirkel fugierenden Teil geht Häfers Hochgeschwindigkeitspassage am Cello akustisch doch etwas in Hopfers in diesem Teil nur Begleitfunktion ausübenden Klavier unter, was auch die später wieder gelungene Balance im "sägenden Celloteppich" nicht so richtig wettmachen kann.
Vom Konservatorium Cottbus kommen Maximilian Dambrowsky (12) und Armin Moriabadi (13), die als Klavierduo antreten, allerdings an nur einem Instrument spielen, ergo vierhändig. Mit zwei locker heruntergespielten Stücken von Satie erwischen sie einen guten Auftakt, wechseln dann aber in den romantischen Bereich, und da klingen das Andante von Bruckner, einer der zahlreichen Ungarischen Tänze von Brahms und auch eines der Lieder ohne Worte von Mendelssohn halt doch noch deutlich zu etüdig und hölzern. Was die Jungs in ihrem Alter schon draufhaben, zeigt am besten das abschließende Stück "Ironie Nr. 6" von Erwin Schulhoff - das schütteln sie nämlich wieder locker aus dem Ärmel, zünden Jazzfeuerwerke, variieren klug die Tempi und arbeiten die witzigen Elemente deutlich heraus (Moriabadi antwortet zweimal mit der tiefsten Taste der Klaviatur auf einen Doppelschlag Dambrowskys auf der höchsten). Gutes Stück in guter Interpretation.
Auch in Sachsen-Anhalt hatte sich die Kombination Cello plus Klavier ins Finale gearbeitet, allerdings aus der jüngeren Altersstufe: Saskia Hirschinger (13) und Tae Minh Hyun (12) bleiben werkseitig komplett in Rußland und teilen im 3. Satz aus Rachmaninows g-Moll-Sonate die Aufgaben konsequent auf: Hirschinger am Cello spielt Leads, das Klavier zimmert den Unterbau zusammen. Und die jugendliche Cellistin rechtfertigt die Last, die sie auf ihre Schultern geladen hat, mit einer schon recht ausdrucksstarken Cellosprache. Die kommt natürlich auch dem Schostakowitsch-Stück zugute - da es sich um das gleiche handelt, das auch die beiden Reichenbacherinnen schon gespielt haben, kann man schöne Vergleiche anstellen und bekommt daher auch mit, daß die beiden Hallenserinnen das Stück etwas ausgewogener und vor allem leichtfüßiger hinbekommen, was den Intentionen des Komponisten (der das - hochgradig formalistische! - Stück noch vor dem Einsetzen des Großen Terrors in der Sowjetunion schrieb, als er auf dem Sprung nach ganz oben im Kulturbetrieb schien) durchaus entgegenkommen dürfte. So überrascht es nicht, nach der Pause die beiden Hallenserinnen mit dem Siegerlorbeer (immerhin gibt es 2000 Euro zu gewinnen, zudem bekommen alle Finalteilnehmer ein Workshopwochenende mit Musikern des MDR Sinfonieorchesters spendiert) bekrönt zu sehen, während sich die anderen Finalisten einen zweiten Platz teilen und der dritte nicht vergeben wird (das Preisgeld des dritten Platzes wird daher spontan noch auf die Höhe des zweiten Platzes aufgestockt).
War's das? Nein - der hintere Teil des Rahmenprogramms der Deutschen Streicherphilharmonie steht ja noch aus, und hatte man mit einem Orchesterwerk eröffnet, das es auch als Kammermusikfassung gibt, so ist die Konstellation nun umgekehrt: "Souvenir de Florence" von Peter Tschaikowski ist im Original ein Streichsextett, was die Umstrickung in ein Werk für Streichorchester nicht so sehr problematisch macht. Man besetzt die sechs Planstellen kurzerhand mehrfach und muß dann nur noch aufpassen, daß die innere Balance gewahrt bleibt. Der Rezensent sitzt auf der Seite, wo sich die Kontrabässe aufhalten, und hat diese daher besonders kräftig im Ohr, aber sie trümmern dankenswerterweise nicht alles in Grund und Boden. Und wenn sie dann auch noch so ein schönes dunkles Leuchten hinbekommen wie im eröffnenden Allegro con spirito, als sie nur von zurückhaltend zupfenden Orchesterkollegen flankiert werden, dann weiß das vorbehaltlos zu gefallen. Schon zuvor aber hat man staunend Sanderlings Präzisionsarbeit mit dem nur projektweise zusammentretenden Orchester registriert, nämlich bei den geschickt ausgespielten winzigen Zäsuren im Einleitungsteil. Das zupackende Satzende setzt einen wirkungsvollen Kontrapunkt zum sehr düsteren Beginn des Adagio cantabile e con moto, das sich aber bald in ein romantisches russisches Birkenwäldchen verwandelt, durch dessen Blätterdach man die Vögel in Gestalt von Solovioline und Solocello singen hört - beide für sich exzellent, aber hier fehlt dann doch das letzte Quentchen Sicherheit und Aufeinander-Abgestimmtsein. Indes bekommen die beiden Damen, die diesen Job erfüllen (die Konzertmeisterin an der Solovioline und eine äußerst attraktive langhaarige blonde Cellistin am ersten Pult), auch dieses Problem noch ansatzweise in den Griff, als sie später im Satz, nachdem u.a. eine Herde Lemminge durch den Wald gerast ist, noch ein weiteres Mal zusammen- und sich offenbar auch langsam aufeinander einspielen. Da will das Orchester nicht nachstehen, bekommt auch schöne russische Weiten vor dem Schluß dieses Satzes hin, holpert dann am Schluß aber wie auf einer russischen Dorfstraße. Wer sich übrigens fragt, wann denn nun endlich die florentinischen Klänge kämen: Es gibt keine - auch das Allegretto moderato an dritter Satzposition hat mehr von einem klassischen russischen Tanz, temposeitig geschickt variiert (die ansatzlose Tempoverschärfung aus dem Nichts muß man auch erstmal so hinbekommen), und auch im abschließenden Allegro vivace braucht man nicht lange zu warten, bis man in der Violine eine typisch slawische Melodie im Hauptthema vorgesetzt bekommt. Dieser vierte Satz wird dann zum Meisterstück des Orchesters: Sanderling und die Musiker putschen sich gegenseitig derart auf, daß der Dirigent wie ein Stehaufmännchen hin und her springt und die Musiker selbst in die ruhigen Passagen eine derartige Explosivität legen, daß ein Funke genügt, um alles zu entzünden. Trotzdem geht die Kontrolle nie verloren, was angesichts des zu legenden Pfades zwischen die Pole epische Breite und Vorwärtsdrang auch nötig ist. Das Speedinferno zum Schluß fällt in den letzten Tönen erstaunlich trocken in sich zusammen, aber das bekommt das wild applaudierende Publikum gar nicht richtig mit.
Bis jetzt hat das Konzert die vorgesehene Länge schon weit über eine halbe Stunde überzogen, aber dabei bleibt es nicht, denn das Orchester packt noch eine Zugabe aus: die Vokalise von Rachmaninow in einer Bearbeitung für Streichorchester. Und die beginnt sehr zart schmelzend, der erste Celloeinsatz gerät fast zu ruppig, bevor es dann doch diverse Dynamikwechsel gibt. Die Damen im Orchester dürfen auch noch ihr Gesangstalent unter Beweis stellen und in diversen Interludien die titelgebenden Vokalisen intonieren, und die Solovioline agiert hier eher sirrend, aber trotzdem noch emotional geprägt. Der leise Ausklang sitzt wie eine Eins, die Spannung kann extrem lange gehalten werden, und damit findet das Konzert ein würdiges Ende.



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