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Finale des Competizione dell' Opera 2009   06.09.2009   Dresden, Semperoper
von rls

Bankenkrise hin oder her - die HypoVereinsbank blieb dem Competizione dell' Opera als einer der Hauptsponsoren treu, und so konnte auch anno 2009 wieder ein Jahrgang dieses renommierten Nachwuchswettbewerbes für italienischen Operngesang über die Bühne gehen. Aber es gab dennoch einige Veränderungen. Zum einen trug der Wechsel von Wettbewerbschefdenker Hans Joachim Frey von der Elbe an die Weser erstmals richtig Früchte - das Orchester, welches das Finalkonzert in der Semperoper Dresden ausgestaltet, waren diesmal die Bremer Philharmoniker, und auch die Vorschlußrunden, sonst meist in Radebeul durchgeführt, fanden in Bremen statt. Zum zweiten entschied man sich, diesmal zwölf statt zehn Finalisten gegeneinander antreten zu lassen, was zur Folge hatte, daß, um die Gesamtdauer der Veranstaltung nicht übermäßig auszudehnen, einerseits die Grußwortdichte etwas reduziert wurde, andererseits aber auch die übliche Orchesterouvertüre wegfiel, und diese Last wog emotional dann schon relativ schwer - man fühlte sich irgendwie wie ins kalte Wasser geworfen. Und auch Moderatorin Bettina Volksdorf hatte sich umgestellt oder umstellen müssen: Sonst konnte man sich freuen, in ihren Anmoderationen der einzelnen Finalisten immer auch noch eine Besonderheit oder gar Kuriosität präsentiert zu bekommen - das gab's diesmal nicht, alles blieb im streng sachlichen, aber dadurch auch etwas trockenen Kontext. Schauen wir durch, was der Zwölferkreis anzubieten hatte:
Ljubov Belotserkovskaya eröffnete das Finale mit Puccinis Arie der Magda "Chi'il bel sogno di Doretta" aus "La Rondine", und nachdem sie sich mit dem Orchester über das Tempo einig geworden war (was eine gewisse Zeit der Arie in Anspruch nahm), wurde eine durchaus gute Leistung daraus. Großes Geschwelge, sehr linienhaft interpretiert, dazu genügend Durchschlagskraft gegenüber dem Orchester dank einer gewissen Grellheit der Stimme - die in ein schwarz-weißes Kleid mit Glitzereffekten gehüllte rotmähnige Russin hatte durchaus Grund zum Strahlen.
Jong-Hoon Heo begann gleich drei Kämpfe in einem: den der Herren gegen die Damen (es waren je sechs ins Finale gelangt, die jeweils abwechselnd antraten), den der Baritone gegen die Sopranistinnen (faßt man die zwei Baßbaritone auch mit unter die Baritone, bestritten diese zwei Stimmlagen mit einer Ausnahme das Finale unter sich) und den Länderkampf Südkorea gegen Rußland (fünf Koreaner gegen vier Russen - der Rest der Welt spielte mit je einem Finalisten aus Uruguay, Chile und der Slowakei numerisch nur eine Nebenrolle, und das, obwohl Vorrunden auf allen Kontinenten mit Ausnahme Antarktikas stattgefunden hatten). Als Stück hatte er Figaros Arie "Largo al factotum" aus Rossinis Sevilla-Friseur bekommen - also auch etwas durchaus Kampferprobtes und zudem ein Heimspiel für ihn, denn er hat den Figaro in Korea bereits gesungen. Diese Erfahrung merkte man ihm auch deutlich an: Viel Mimik und Gestik, ein weißer Kamm als Utensil, dazu eine helle und flinke, aber trotzdem kräftige Stimme bescherten dem Publikum nach dem Prinzip "Seid umschlungen, Millionen" viel gute Laune.
Ganz in Weiß, aber noch ohne Blumenstrauß trat Landsmännin Yun Jeong Lee mit Rezitativ und Arie der Linda "Ah tardai troppo ... O luce de quest'anima" aus Donizettis "Linda de Chamounix" an und führte eine etwas gedeckte, aber trotzdem flinke Stimme ins Feld, mit der sie sich auch sauber durch die Koloraturen sang. Gemäß dem Handlungsort der Oper hat Donizetti im Schlußteil der Arie noch eine Stelle von der gefühlten Höhe des Montblanc untergebracht, eine Prüfung für jede Sängerin, aber während zuvor nicht alle der Höhen so unaufgeregt saßen, wie man sich das gewünscht hätte, so entledigte sich die junge Sopranistin dieses Montblanc-Aufstieges doch in äußerst gekonnter Manier (der Rezensent hat sich hinterher via youtube mal ein paar große Konkurrentinnen bis hin zu Edita Gruberova angehört - und da muß sich die Koreanerin nicht verstecken!) und wurde mit lauten Bravi belohnt. Es war klar: Hier mußte ein Preis fallen.
Der dritte Koreaner in Folge war Guk-Hoe Song, der in Giordanos "Andrea Chénier" den verquasten Revolutionär Carlo Gérard mit der Arie "Nemico delle Patria" zu geben hatte, und diese Rolle spielte er durchaus gekonnt: Der Appellfaktor seiner Arie überzeugte, der lyrische Faktor dagegen weniger (schön zu hören beim nicht so richtig harmonierenden "Duett" mit dem Solocello). Der Energiefaktor wiederum war in ausreichender Menge vorhanden, die Feinabstimmung mit dem Orchester klappte aber auch beim Schlußton wieder nicht, was freilich aufgrund der enorm kurzen Vorbereitungszeit noch zu verschmerzen war.
Venera Gimadieva hatte das nächste Heimspiel bekommen, denn Gilda in Verdis "Rigoletto" und damit auch deren Arie "Caro nome" gehört zu ihrem derzeitigen Repertoire an der St. Petersburger Oper. Über diese Aufgabe ging die Russin (nein, eigentlich Tatarin), in ein enorm langes Kleid verschiedener ineinander übergehender Pastell- bis Lilatöne gehüllt, mit einem Weichzeichner hinweg, also quasi die Übersetzung ihres Kleides in Musik. Eine sehr weiche Intonation ermöglichte zumindest in den "Normallagen" fast ansatzlose Tonübergänge, während manche Höhen abzukippen drohten und sich das offenbar eher niedrige Lungenvolumen mit einer hohen Atmungsdichte bemerkbar machte, was dann den sehr fließenden Gesang irgendwie konterkarierte. Eine sehr schöne Stimme, zweifellos, aber irgendwie ambivalent in der Wirkung.
"Eine verstohlene Träne" hatte Youn-Seong Shim in der Romanze des Nemorino "Una furtiva lagrima" aus Donizettis "L'Elisir d'Amore" titelgemäß wegzuwischen. Der einzige Tenor des Finales, der auch als einziger der Herren vom Schema "Schwarzer Anzug plus weißes Hemd" abwich (sein Hemd war auch dunkel), sah sich mit einem äußerst romantisch intonierenden Orchester konfrontiert, dem er zunächst mit einem etwas zu hölzernen Gesang begegnete, bevor er dann doch emotionaler agierte und in der Kadenz die Entsprechung einer potentiellen liebenden Vereinigung erreicht gewesen wäre, wenn da nicht die immer wieder auftretenden "schnappenden" Auslaute gewesen wären, die eher an die Romanze eines Asthmatikers erinnerten. Gewöhnungsbedürftig.
Paulina Gonzalez Melgarejo war vor 24 Jahren am Fuße des Vulkans Osorno in den südlichen Anden Chiles geboren worden, und irgendwie erinnerte ihr Vortrag der Titelpartie-Arie "Io son l'umile ancella" aus Francesco Cileas Oper "Adriana Lecovreur" auch tatsächlich an einen schwelenden Vulkan. Die walkürenhafte Chilenin, gehüllt in Schwarz mit einem roten Umhang baute dabei besonders in den leisen Teilen viel Spannung auf und überzeugte dort, während die lauten Passagen eher mit einem Bimssteinregen zu vergleichen waren; ganz zum Schluß hatte ihr der Komponist auch noch einen richtigen Vulkanausbruch beschert, der aber auch nicht darüber hinwegtäuschte, daß die energischen Passagen nicht die Stärke der Sopranistin darstellten. Von daher überraschten die lauten Bravi aus der Ecke rechts hinten im Parterre ein wenig.
Eine ganz andere Art von Durchschnitt brachte Boris Dyakov auf die Bühne. Der russische Bariton fiel zunächst durch seine enorme Körpergröße auf (und die seitlichen Bühneneingänge der Semperoper sind auf die Durchschnittsgröße Mitte des 19. Jahrhunderts berechnet ...) und zeigte in der Arie des Giorgio Germont "Di Provenza il mar" aus Verdis "La Traviata" eine Leistung ohne jegliche Ecken und Kanten, unangreifbar, ungreifbar auch, aber auf einem sehr hohen Niveau. Trotz der klinischen Sauberkeit stimmte auch die transportierte Energie, die der eines T-34 seines Arbeitgebers (er singt als Solist im Ensemble der Roten Armee) nicht nachstand.
Solche Energie brauchte auch seine Landsfrau Evgenya Sotnikova, um sich in Anna Bolenas Arie "Piangete voi" aus Donizettis "Anna Bolena" gegenüber dem Orchester zu behaupten, und zumindest in den höheren Passagen schaffte sie das auch. Ihren sehr linienhaften Gesang reicherte sie mit sehr starken Kontrasten an, die auch bestens zu den Wandlungen der Titelheldin paßten - ein guter Mix aus Verzweiflung, Wahnsinn und verklärtem Rückblick, bevor der Weg schließlich aufs Schafott führt. Nicht so für die junge Russin in ihrem engen weißen Kleid natürlich ...
Der letzte Koreaner, Kihwan Sim, hatte wiederum ein Heimspiel, da Leporello in Mozarts "Don Giovanni" zu den Rollen gehört, mit denen der Baßbariton bereits Erfahrung besitzt. Nutzen konnte er den Vorteil indes nicht - er sang eine solide "Madamina, il catalogo è questo"-Partie, offenbarte aber besonders in den tiefen Lagen mancherlei Treffsicherheitsprobleme bei Sprüngen, während die generell kantige Stimme nicht zum Nachteil gereichte. Ein wenig Schauspielerei gehörte auch dazu, wobei man über die Situationskomik, daß der für einen Angehörigen seines Volkes ungewöhnlich große Koreaner zur Verkörperung des von Leporello gefundenen kompromittierenden Dokuments ausgerechnet ein Programmheft des Competizione wählte, irgendwie schmunzeln mußte.
Als einzige Mitteleuropäerin hatte es Mária Porubcinová ins Finale geschafft, und obwohl die Slowakin sonst eher slawische Opern singt, kam sie auch mit Rezitativ und Arie der Amelia "Ecco l'orrido campo ... Ma dall'arido stelo divulsa" aus Verdis "Un Ballo in Maschera" sehr gut klar. Gehüllt in eine Kombination aus Zitronengelb und Schwarz-Weiß, hatte sie nur stellenweise gegen das Blech keine akustische Chance, kompensierte dieses kleine Problem aber mit einer starken Ausgestaltung des Stoffes, vor allem in der sehr mystisch gelungenen Mitternachtsszene. Viel Kontrast, viel Power, viel Vibrato und der längste Finalbeitrag - einige verdiente Bravi waren zu hören.
Enzo Romano hatte in der Cavatine des Dottore Dulcamara "Udite, udite, o rustici" aus Donizettis "L'Elisir d'Amore" einen Buckelapotheker zu spielen, und dieser Aufgabe entledigte sich der Uruguayer in durchaus authentisch wirkender Manier inclusive Fläschchen mit geheimnisvoller Substanz. Aber irgendwie fehlte bei allem Witz doch ein wenig die Durchschlags- und Überzeugungskraft, was besonders, wenn er nach der Seite hin sang, zu akustischen Problemen führte, und die Tatsache, daß Donizetti ihm bisweilen sehr viel Text auf wenig Singdauer beschert hat (böse Zungen würden hier eine Wurzel für die spätere Erfindung des Rap entdecken), erleichterte die Aufgabe auch nicht gerade. Ein hübsches Stück des Baßbaritons, aber nichts für die Ewigkeit.
Die Pause war wie immer mit Juryberatung und Publikumspreiswahl gefüllt, bevor das Orchester dann doch noch eine Ouvertüre spielte, welche die "Donizetti-Festspiele" (mit vier von zwölf Finalbeiträgen stellte G.D. den umfangreichsten Anteil eines einzelnen Komponisten) abrundete: die von "Roberto Devereux". Nach drei kantigen Breaks mit epischen Zwischenspielen brachte das Hauptthema den ganzen Saal zum Grinsen - eine Variation von "Heil dir im Siegerkranz" bzw. "God save the Queen". Daß nicht alle der folgenden Tempoteile ganz exakt saßen, mancher doch einen leicht unkoordinierten Eindruck hinterließ, störte bei der generellen Frische, die aus dem Orchester sprühte, irgendwie nicht, und gegen Ende nahm mit dem Tempo auch die Sicherheit weiter zu - danach hatte man so richtig gute Laune für die Siegerehrung. Aufgrund der relativen Homogenität des Finalistenfeldes hatte die Jury keinen leichten Job. Der erwartete Preis für Yun Jeong Lee war der dritte, während Paulina Gonzalez Melgarejo doch etwas überraschend auf dem Silberrang einkam. Am Sieg von Mária Porubcinová aber gab es nichts zu deuteln, und das Publikum stimmte mit der Jury überein, denn auch den Publikumspreis konnte die Slowakin einheimsen, während Evgenya Sotnikova noch einen begründungsseitig nicht näher spezifizierten Sonderpreis erhielt. Wer das Review gleich nach Onlinegehen liest, hat die Gelegenheit, den Mitschnitt am 3. Oktober 2009 ab 20 Uhr auf MDR Figaro zu hören und sich selbst ein akustisches Bild zu machen. Bis nächstes Jahr!



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