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Der Herr der Ringe - Das Konzert   17.02.2009   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Die inspirative Kraft, die John Ronald Reuel Tolkiens Mammutwerk "Der Herr der Ringe" auf Künstler anderer Sparten ausübt, ist groß, und da machen die Musiker keine Ausnahme. Je nach persönlicher Disposition nimmt man sich dann ganz bestimmte Figuren bzw. Figurengruppen als Vorbild - das reicht so weit, daß mittlerweile sämtliche Orks als Pseudonyme für Black Metaller herangezogen worden sind. Einen völlig anderen Weg beschritt der studierte Gitarrist Caspar Reiff, als er 1995 das Tolkien Ensemble gründete: Sein Ziel bestand darin, sämtliche Gedichte im "Herrn der Ringe" zu vertonen. Nun kam ihm allerdings Peter Jackson in die Quere, der Howard Shore mit der Komposition für die Soundtracks der drei "Der Herr der Ringe"-Filme betraute. Ergo bündelte man eines Tages diverse Kräfte, holte sich immer mehr schlagkräftige Verstärkung (Tolkiens Nachlaßverwalter etwa waren schon mit in Reiffs Boot, als an den ersten Film noch nicht mal zu denken war), und das Ergebnis kann man seit 2008 in verschiedenen Tourkonstellationen erleben. Das mit 8 Euro nicht gerade preiswerte, aber dafür sehr schöne (und auch in der Herstellung alles andere als billige) Programmheft enthält das Basisprogramm, für die laufenden Tourabschnitte arbeitet man mit Einlegeblättern, die die jeweils aktuelle Besetzung und das in den Grundzügen jeweils identisch strukturierte, aber in einigen Bestandteilen variierte Programm vorstellen.
Erwartungsvoll sitzt also ein bunt gemischtes Publikum im Gewandhaus zu Leipzig, Metalshirtträger neben Anzugpublikum, undefinierte Normalos dazwischen, allerdings bleiben die Freaks, die sich auch schon mal in ein Ork- oder Entkostüm zwängen, diesmal eher rar. Als wohl schlagkräftigste Verstärkung hat sich Caspar Reiff übrigens keinen Geringeren als Christopher Lee geangelt, der in den Filmen Saruman spielte und natürlich nicht höchstselbst die Tour mitfährt, aber zwischendurch immer wieder über zwei runde Bildschirme links und rechts des Orgelprospektes eingespielt wird und seine Gedanken zu Tolkiens Werk in Englisch mit Untertiteln (und Begrüßung und Abschied in Deutsch) äußert - leider ist der Schnitt mitunter etwas mißglückt, wird Lee bisweilen nach jedem zweiten Satz kurz aus- und dann wieder eingeblendet, was der Stimmung leicht abträglich ist. Das Problem hat Wolf-Dirk Vogeley nicht - er sitzt im Gandalf-Kostüm persönlich auf der Bühne (auf einem riesigen Sessel älterer Bauart) und spielt seine Rolle als moderierender Märchenonkel bis auf einen kurzen Problemfall (hierzu später mehr) ausgezeichnet. Dazu kommen das insgesamt siebenköpfige Tolkien Ensemble, ein gemischter Chor und das sogenannte Hollywood Orchestra, das an diesem Abend von dem Weißrussen Andrey Galanov geleitet wird. Die Musiker sind allerdings offenbar so gut eingespielt, daß der Dirigent durchaus auch mal die Zügel schleifen lassen kann und trotzdem nur selten eine gewisse Unordnung in den Orchesterklang tritt (in "Go Now" etwa liegt das Glockenspiel teils arg neben der Spur, was das Publikum offenbar aber nicht stört - man applaudiert trotzdem enthusiastisch). Der Chor schraubt den Klirrfaktor, wenn er sehr laut singen muß, mitunter sehr weit nach oben, entledigt sich seiner Aufgabe, wahlweise in Elbisch, Englisch oder mit Vokalisen, aber prinzipiell auch sehr souverän. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen aber die sieben Mitglieder des Tolkien Ensembles, und die haben ein sehr interessantes, reichlich zweistündiges Programm zusammengeschmiedet. Insgesamt elf Programmpunkte stammen aus dem kompositorischen Fundus von Howard Shore, sind also Exzerpte der originalen Filmmusik, und letzteres Attribut trifft auch auf den jeweils singulären Beitrag von Enya und Ex-Eurythmics-Stimme Annie Lennox zu. Dazu tritt dann noch eine ganze Anzahl Nummern, die auf das Konto entweder Reiffs oder seines Gründungskompagnons Peter Hall, der diesmal aber nicht mit on the road ist, gehen. Und das Wundersame ist: Beide Hauptkomponenten bilden eine derart gelungene Symbiose aus, daß man zu vermuten versucht ist, sie wären von Anfang an als zusammengehörig konzipiert gewesen. Wähne allerdings niemand einen stilistischen Monoblock: "A Knife In The Dark" etwa bietet finsteres Orchestergrollen mit gelegentlichen entspannenden Abschnitten, während Sängerin Christine Nonbo in "Elven Hymn To Elbereth Gilthoniel" wohlige Erinnerungen an die Folkkomponenten der frühen The Third And The Mortal aufkommen läßt. Auch Enyas Beitrag "May It Be" fällt erwartungsgemäß ins ruhige Fach, wohingegen Reiff und Hall mit "There Is An Inn" einen absoluten Volltreffer gelandet haben, denn besser kann man eine beschwingte Kneipenszene wohl kaum umsetzen. Sibéal Hill begeistert als Steptänzerin, und selbst Violinistin Katariina Roth springt wie von der Tarantel gestochen über die Bühne. Weil Reiff und seine Spießgesellen um den begeisternden Charakter dieses Stückes wissen, bauen sie es als eine Art Leitmotiv immer mal wieder ein und befinden sich damit im guten Einklang mit Howard Shore, der sich in seiner Musik ja auch reichlich bei Wagners Leitmotivtechnik bedient hat. Generell zeichnet sich das Programm durch geschickt gewählte Dynamik aus - immer wenn man sich wünscht, jetzt müsse doch mal was in einer bestimmten Richtung passieren, dann passiert das auch (auch wenn man wie der Rezensent zwar die ersten vier Bücher samt Vorspiel "Der kleine Hobbit" gelesen, aber die Filme bisher nicht gesehen hat und auch die insgesamt 12 Stunden Soundtrack bisher nur ausschnittweise kennt). Ein paar Probleme gibt es allenfalls mit der Abstimmung mancher Komponenten in puncto Lautstärke. Das stark besetzte Orchester läuft oftmals Gefahr, die Solisten des Tolkien Ensembles (trotz deren elektrischer Verstärkung) zuzudecken, wenngleich Galanov sich um eine Balance bemüht (wobei es ihm die Komponistenfraktion hier und da aber auch schwer bis unmöglich macht, alles durchhörbar zu gestalten - in "The Eagles Song" kurz vor Schluß etwa singen die Solisten verzweifelt gegen den dominanten Chor an, und die Trompeten decken allein den kompletten Rest des Orchesters zu). Das meiste gelingt ausgewogen, einiges aber eben nicht (von Reiffs Akustikgitarrenspiel hört man außerhalb der Balladen beispielsweise fast gar nichts, wohingegen es Katariina Roth, Akkordeonist Öyvind Ougaard und Flötist Nick Keir immer wieder schaffen, sich angemessenes Gehör auszubitten), und einer dieser Fälle ist leider ganz bitter: Gerade als Gandalf den dramaturgischen Höhepunkt der ganzen Geschichte verliest, nämlich die Szene, als der Ring samt Gollum in den Vulkan stürzt und vernichtet wird, entfachen die Instrumentalisten einen derartigen sonischen Sturm, daß man den Erzähler schlicht und einfach nicht mehr hört und die Dramaturgie an dieser Stelle somit vor die Wand läuft. Dieses Problem ist zweifellos konzeptionell bedingt, und man sollte über Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Der überwiegende Rest der über zwei Stunden hingegen macht, wenn man nicht mit der übergroßen Lupe rangeht, richtig Spaß (die zumeist recht atmosphärischen Zeichnungen von Ted Nasmith, einzelne Szenen aus der Geschichte illustrierend, seien noch erwähnt - sie werden dann auf den Leinwänden eingeblendet, wenn Herr Lee gerade nicht spricht -, und man übertrebt es dankenswerterweise nicht mit dem Einsatz der Nebelmaschine), und so läßt sich die Truppe auch nicht lumpen und packt noch zwei Zugaben aus, nämlich weitere zwei Versionen des Kneipensongs, schrittweise immer wilderen Charakter annehmend (die braven Elben erobern da auch schon mal Gandalfs Erzählerstuhl, entern gar Galanovs Dirigentenpult oder spielen synchron mit einem der drei Schlagzeuger) und das Publikum damit elektrisiert (oder freudetrunken) auf den Heimweg bzw. zur anschließenden Autogrammstunde schickend. Gute Unterhaltung! www.star-entertainment.org gibt Auskunft über weitere anstehende Termine.

Setlist:
Mordor National Anthem
Elven Hymn To Elbereth Gilthoniel
The Prophecy
Concerning Hobbits
Dragon's Rage
Here I Stand Alone
A Knife In The Dark
There Is An Inn
Verse Of The Rings
Malbeth The Seer's Words
The Breaking Of The Fellowship
May It Be
The White Rider
Hobbit Tunes (Jigs N' Reels)
The Bridge
Go Now
The Council Of Elrond
Treason Of Isengard
The Edge Of Night
Sam's Song In The Orc-Tower
Galadriel's Song Of Eldamar
Minas Morgul
The End Of All Things
The Return Of The King
The Eagles Song
Into The West



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