www.Crossover-agm.de
Paulus   07.02.2009   Leipzig, Thomaskirche
von rls

In der Woche des 200. Geburtstages Felix Mendelssohn Bartholdys stehen natürlich auch seine Oratorien hier und da auf dem Spielplan, und da man im Jahre 2009 auch noch das 600jährige Gründungsjubiläum der Leipziger Universität, der ältesten noch bestehenden Universität auf heutigem deutschem Boden, zu feiern hat, setzt Universitätsmusikdirektor David Timm mitsamt "seinem" Mendelssohnorchester und "seinem" Universitätschor auch eines an, dankenswerterweise nicht den omnipräsenten "Elias", sondern den ein Jahrzehnt früher entstandenen und weit seltener gespielten "Paulus". In der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und dem Deutschlandfunk findet man schlagkräftige Partner, die das Konzert zum Auftakt der gemeinsamen Konzertreihe "Rund um D" gedeihen lassen - wer das Review zeitnah zur Onlinestellung liest, kann sich den 1. März 2009 vormerken und ab 21.05 Uhr der Aufzeichnung im DLF lauschen, und der Reinerlös kommt der Restaurierung eines Gelehrtenepitaphs zugute, das 1968 vor der Sprengung aus der Universitätskirche Leipzig gerettet werden konnte.
Als Spielort wählt man die Thomaskirche zu Leipzig, wie alle mittelalterlichen Hallenkirchen beschallungstechnisch nicht ganz einfach, aber erstens weiß Timm das und läßt deshalb von der Empore aus musizieren (was das Beschallungsproblem erfahrungsgemäß deutlich mildert - nebenbei bemerkt wär's wegen der obligaten Orgel auch schwer anders gegangen ...), zweitens erwischt der Rezensent im rechten Mittelschiff einen akustisch günstigen Platz, und drittens vermag Timm die Volumenintensität seines Orchesters exakt auf den Raum abzustimmen, so daß die powernden Parts genau an der Stelle angesiedelt sind, wo sie die intendierte Energie noch herüberbringen, aber noch nicht zur Vermulmung des Klangbildes führen. Daß er die Musiker aus dem Kirchenschiff heraus kaum oder gar nicht sieht, nimmt der Hörer in dieser Situation gern in Kauf - das klangliche Ergebnis rechtfertigt die kleine optische Eindruckseinbuße allemal, wenngleich sich das Ohr erst ein wenig auf die Verhältnisse einstellen muß und somit in der Ouvertüre manche Streicherparts noch etwas zu ineinandergeflossen wirken. Aber schon hier ist in den kammermusikalischen Parts eine beeindruckende Tiefe da, die so ganz nebenbei auch das immer wieder geäußerte Vorurteil, Mendelssohn habe nur oberflächlich und "salonhaft" komponieren können, beiseiteschiebt. Generell fällt auf, daß Mendelssohn und Timm die eingebauten Choräle äußerst langsam nehmen lassen, was trotz nicht deckungsgleicher Übertragbarkeit auf die kirchenmusikalische Praxis der Durchschnittsgemeinde doch hier und da zum Denken anregen könnte. Und mit welcher Weichheit der Universitätschor etwa "Allein Gott in der Höh sei Ehr" im Einleitungsteil singt und trotzdem eine ausgeprägte Struktur unterbringt, das beeindruckt ohne Wenn und Aber; auch ansonsten verrichtet der Chor einen nahezu tadelsfreien Job, transportiert Gewalt wie in "Er soll sterben" (in der Steinigungsszene von Stephanus) mit genau der gleichen Treffsicherheit wie den fast fahl-trüben Charakter in "Seid uns gnädig" oder die wunderbar ätherischen Christusworte in der Szene von Pauli Bekehrung vor Damaskus - in "Saul, Saul, warum verfolgst du mich?" hört man besonders im ersten Wort "Saul" förmlich die Engel singen, was der Chor in diesem Stadium der Entrücktheit bei aller Klasse nur an dieser Stelle derart intensiv hinbekommt. Ein paar kleine Ausfaserungen etwa in den Unisoni von "Denn der Herr hat es gesagt" im Schlußchor des ersten Teils verzeiht man dem Klangkörper daher gern, und auch ein paar kleine Wackler im Orchester, etwa die kleinen Timingunsicherheiten in den Flöten bei Stephanus' Tod, verblassen angesichts der hervorragenden Gesamtleistung. Daß Mendelssohn in puncto Dramatik im "Paulus" noch nicht das sehr hohe Level des eine Dekade später entstandenen "Elias" erreicht, hört man zwar deutlich, aber erstens können dafür die Ausführenden nichts, und zweitens arbeitet Timm mit seiner Mannschaft das, was Mendelssohn schon hier untergebracht hat, sehr deutlich heraus und erzielt etwa in "Der Kreis ..." zu Beginn des zweiten Teils oder in den Konfliktszenen des zweiten Teils ("Weg, weg mit ihm" und "Steinigt ihn") sehr gute Ergebnisse; im Auftaktchor des ersten Teils gerät die Gestaltung von "Die Heiden lehnen sich auf" gar fast in die Nähe des Übereifers, aber Timm hat das Ganze schnell wieder im Griff. Auch das von Mendelssohn aufgegebene Problem, daß die Erzählerrolle teils in weiblicher Hand ist und man einen Sopranerzähler fast immer schlechter versteht als etwa einen Tenorerzähler, können Timm und seine Solistenriege recht gut bewältigen, wie es überhaupt an der Textverständlichkeit wenig auszusetzen gibt. Viktorija Kaminskaite hat sich einen festen Platz unter den besten Leipziger Sopranistinnen ersungen und rechtfertigt diesen auch an diesem Abend wieder (wenngleich der schwierige Übergang in die Höhe während der Ananias-Szene noch kleine Reserven offenläßt), Annette Markert gibt einen guten Alt, und auch die Herren Christoph Genz und Tuomas Pursio (Tenor respektive Bariton, letzterer kurzfristig für den erkrankten Stephan Genz eingesprungen) wissen zu überzeugen, wenngleich man der Rolle des Saulus vielleicht noch ein wenig mehr Bosheit hätte verleihen können, die dem inhaltlichen Geschehen angemessen gewesen wäre. Aber das zählt hier schon als Luxusproblem - der Gesamteindruck des Konzertes bleibt nahezu uneingeschränkt positiv, und nach einer langen Pause nach dem Schlußton belohnt das Publikum in der nicht ganz ausverkauften, aber sehr gut gefüllten Thomaskirche die Ausführenden mit reichlich Applaus.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver