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4. Philharmonisches Konzert "Bombastisch!"   30.01.2009   Altenburg, Theater
von rls

Zwei Bomben größerer bis größter Sprengkraft stehen auf dem Programm des 4. Philharmonischen Konzertes, gespielt wie immer an zwei Abenden in Gera und einem in Altenburg. Der letztere ist erfreulich gut besucht, was keineswegs vorauszusetzen war. Vielelicht hilft da auch der Name Bernd Glemser ein wenig, denn den kennt man in Mitteldeutschland sehr gut (in Leipzig konnte man ihn schon des öfteren erleben), und er ist der Solist in Sergej Rachmaninows 2. Klavierkonzert von 1901, welches die kleinere Bombe darstellt und folgerichtig vor der Pause gespielt wird. Nun ist die Bühne des Altenburger Theaters nicht so sehr breit, der Steinway nimmt also eine beträchtliche Prozentzahl dieser Breite ein, und man stellt im Parkett fest, daß dadurch schon eine erstaunliche Dämmwirkung des Orchesterklanges erzeugt wird. Auf die Balance zwischen Klavier und Orchester hat das aber erstaunlicherweise wenig Auswirkungen, denn die bessert sich nach anfänglichen Problemen (mal decken die Tiefstreicher die tiefen Passagen des Klaviers, derer es gerade am Anfang des 1. Satzes viele gibt, konsequent zu, mal rächt sich das Klavier, indem es leisere Streicherparts ins akustische Abseits befördert) im Laufe schon des 1. Satzes deutlich, wenngleich das letzte Quentchen Harmonie unerreicht bleiben wird, was übrigens auch aufs Zusammenspiel der Komponenten Orchester und Klavier zutrifft - Eric Solén am Pult sieht man hinter dem Flügeldeckel kaum, und Bernd Glemser macht nicht den Eindruck, als ob er sonderlich viel aktiv mit dem Dirigenten arbeitet. Trotzdem sind er wie Solén und das Orchester Profis genug, um trotzdem eine gute Leistung abzuliefern - aber "gut" ist eben nicht "exzellent"; so bleibt etwa eine Orchesterreaktion auf Glemsers ausziselierte Tempoverschleppungen im Adagio sostenuto gleich im ersten Klaviereinsatz aus. Solén nimmt das eröffnende Moderato temposeitig tatsächlich moderat und setzt nur mit dem Schlußausbruch ein bombastisches Achtungszeichen. Das Adagio sostenuto wandelt er nicht etwa in ein Andante um, wie es diverse Geschwindigkeitsfanatiker heute tun, sondern schleppt es tatsächlich in niedrigem Tempo durch, wobei die kammermusikalisch wirkenden Passagen mit Klavier und einzelnen Orchestergruppen hier deutlich besser gelingen als im 1. Satz, wenngleich die latente Unruhe nie abgelegt wird und zudem gerade in diesen Passagen das klappernde Pedal des Flügels eine besonders störende Wirkung entfaltet. Dafür sitzen die Ausbrüche gegen Satzende, nur der Übergang der Kadenz in den Schluß holpert etwas zu sehr. Der dritte und letzte Satz ist mit Allegro scherzando überschrieben, und Rachmaninow, selbst ein erstklassiger Pianist, beschert den Interpreten mit äußerst virtuosen Passagen hier ein hartes Stück Arbeit, das Glemser aber souverän meistert. Solén läßt sich vom Klavierspeed aber wieder mal nicht anstecken und hält auch hier das Grundtempo vergleichsweise niedrig, zeichnet aber die Brüche konturenstark nach und läßt das Orchester in den Bombastparts, die hier im dritten Satz vergleichsweise am häufigsten auftreten, auch mal etwas von der Leine, wobei hier das Kunststück gelingt, das Klavier auch in diesen Parts immer noch durchhörbar zu gestalten. Der Applaus ist sehr herzlich, und Glemser packt somit auch noch eine Zugabe aus: Bachs "Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ", das er gegen Ende in eine Grabesstimmung führt, die irgendwie schon auf den zweiten Teil des Konzertes vorausweist.
In diesem zweiten Teil spielt das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera eine der wenigen Sinfonien des 20. Jahrhunderts, die auch noch im 22. Jahrhundert weite Verbreitung auf den Spielplänen haben wird (sofern es dann überhaupt noch Orchesterkonzerte geben bzw. die Erde noch nicht vergiftet oder in die Luft gesprengt worden sein sollte): die Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 60 von Dmitri Schostakowitsch, auch als "Leningrader Sinfonie" bekannt, die erste seiner drei Kriegssinfonien, aber inhaltlich deutlich vielschichtiger, als diese Apostrophierung assoziieren würde - zwar vereinnahmte die sowjetische Propagandamaschinerie die Sinfonie schnell als Beitrag zum Sieg der ruhmreichen Sowjetarmee über die Wehrmacht, aber konzipiert hatte sie Schostakowitsch zu einer Zeit, als es noch den Hitler-Stalin-Pakt gab und die Rolle des Usurpators eines friedlichen Volkes eher Stalin (angesichts der gerade erst etwas zur Ruhe gekommenen Säuberungswelle der 30er Jahre, der u.a. die komplette Führungsebene der Roten Armee, zahllose Künstler und andere Angehörige der Intelligenzija und nicht zuletzt auch mißliebige Parteifunktionäre wie Sergej Kirow zum Opfer gefallen war) zukam. Schon der nervöse Charakter der Einleitung des Allegretto, durch die Bläsereinwürfe induziert, weist in eine solche Argumentationsrichtung, und diesen Charakter transportieren Solén und sein Orchester ebenso paßgenau wie die dunkelromantische Stimmung rings um das zweite Thema. Tja, und dann erklingen die wohl brutalsten Passagen, die die klassische Welt bis heute kennt - ein stumpf-monotones Thema, in elf Variationen vom Pianissimo bis zum Soundorkan gesteigert und tatsächlich das Nahen einer Kriegsmaschinerie vor dem geistigen Auge hervorrufend. Nun ist die Bühne des Altenburger Theaters wie erwähnt nicht allzu breit, die Musiker sitzen also nach hinten verteilt in einer Art Schlauch, und dieser Schlauch läßt den Klang zu einer großen Woge werden, die den Hörer erstarren läßt und ihn quasi lähmt. Soweit, so gut - aber irgendwie entsteht nicht das Gefühl, man würde von der Woge mit physischer Wirkung gepackt, umklammert und gegen die Rückwand des Saales geworfen, so daß also doch noch irgendwo ein paar Prozentchen an Reserve gelauert haben müssen. Macht aber nichts - die Eindringlichkeit ist mehr als ausreichend, zumal Solén auch die Kontrastwirkung erstklassig hinbekommt, die der rapide, aber nicht abrupte Rückbau des Klanges bis hin zu den leisen Flötenparts erzeugt. Für eine richtig eskapistisch-fragile Stimmung in den leisen Parts sind Unruhe und Erkältungsquote im Publikum freilich zu hoch, was auch das Moderato, poco allegretto, den zweiten Satz, stimmungsseitig etwas trübt. Hübsche Kammermusik mit einzelnen dramatischen Aspekten ist das, später noch durch Humor (in den zirkusmarschartigen Passagen - das Prinzip "Brot und Spiele" läßt grüßen) und Galgenhumor (mitten im Krieg wird da eben mal 'ne Militärparade abgehalten) ergänzt. Die Streicher im Adagio/Largo färbt Solén sehr grell und erzielt damit gute Kontrastwirkungen zu den angedüsterten lyrischen Parts, in denen u.a. das Kontrafagott eindrucksvoll für Trübsal sorgt. Der Übergang in den brutaleren Mittelteil dieses Satzes gelingt schön nahtlos, und dieser Mittelteil gerät trotz einheitlichen Grundbeats rhythmisch ausgesprochen variabel - nur sein Zusammenbruch holpert etwas zu sehr. Der vierte Satz, ein Allegro non troppo, folgt attacca, die Stalinorgel heult, der Kampfsoundtrack erweckt allerdings eher den Eindruck einer Budjonny-Reiterschlacht als der technisierten Kriegführung im Zweiten Weltkrieg. Die ausgedehnte Totenklage in diesem Satz (der eigentlich mit "Sieg" hätte überschrieben werden sollen, bevor Schostakowitsch sich entschied, die Überschriften der Sätze zu streichen) offenbart noch Reserven in puncto Schwärzegrad, dafür aber beweist Solén sein feinfühliges Händchen für die Auslotung ganz bestimmter Aspekte im Finale dieses vierten und letzten Satzes: Er läßt sich erstens nicht von der gängigen Herangehensweise anstecken, daß eine gängige Sinfonie ihr Lautstärke- und Bombastmaximum ganz am Ende entfalten müsse, und bleibt statt dessen knapp unter dem sonischen Bombardement, das er im ersten Satz auf das Publikum losgelassen hat. Zweitens schließlich nimmt er dieses scheinbar triumphale Finale in einem derart schleppenden Tempo, daß er den Sieg deutlich als einen Pyrrhussieg kennzeichnet - und auch bezüglich dieses Aspektes dürfte der Komponist selig lächelnd von wo auch immer herübergeschaut haben, sich freuend, daß ihn da offensichtlich einer verstanden hat. Daß man als Publikum sich nach dieser Sinfonie so fühlt, als ob gerade ein Panzer über einen hinweggerollt wäre, ist in diesem Falle als Qualitätsbeweis zu werten, und so haben sich Orchester wie Dirigent den enthusiastischen Beifall redlich verdient.



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