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Finalkonzert des Competizione dell'Opera 2008   12.09.2008   Dresden, Semperoper
von rls

Und er bleibt eine Erfolgsgeschichte, der Competizione dell'Opera. Anno 2008 wäre der große Internationale Gesangswettbewerb der italienischen Oper laut dem ursprünglichen Zweijahresturnus sowieso wieder an der Reihe gewesen, was sich aber seit 2007 sowieso in einen Jahresrhythmus gewandelt hat, und erneut traten 600 junge singende Liebhaber der italienischen Oper (Alter: 18 bis knapp über 30) in fast der ganzen bewohnten Welt an, um über Vorrunde und Semifinale die Runde der letzten 10 zu erreichen, die in schon traditioneller Weise im prächtigen Ambiente der Dresdener Semperoper über die Bühne ging. Zunächst überraschte allerdings das Orchester, das da vor den fast gefüllten Rängen saß: Nicht die WDR-Rundfunksinfoniker waren es wie in den letzten Jahren, sondern die Deutsche Radiophilharmonie, erst anno 2007 per Verschmelzung der Rundfunkklangkörper von SR und SWR gebildet. Aber die Saarländer und Pfälzer machten, dirigiert von Daniel Montané, ihre Sache nicht schlechter als die Kölner, und sie stiegen mit einer äußerst kantigen Version von Bellinis Ouvertüre zu "Norma" (nein, keine Supermarktwerbeoper) in den Finalabend ein, bei der die weichen Parts allerdings noch ein wenig Ausfeilung vertragen hätten und auch die Balance hier und da noch verbesserungswürdig war (die gezupften Streicher etwa hatten gegen das Holz keine Chance). Aber das große elegische Hauptbreak bewies, daß sie auch solche Passagen erstklassig umsetzen können.
Den Reigen der Finalisten eröffnete der Chilene Javier Array mit dem Prolog des Tonio "Si può? ... Si può?" aus Leoncavallos "I Pagliacci". Der Hobbykoch verfügte (deshalb?) über einen beachtlichen Resonanzraum, den er auch zu nutzen wußte, was mit seinem deutlich spürbaren südländischen Temperament eine gute Verbindung einging. Zudem hielt er den Text recht verständlich (über die Qualität der italienischen Aussprache maßt sich der Rezensent, der diese Sprache immer noch nicht beherrscht, wie schon in den Vorjahren kein Urteil an), hatte allerdings trotz seines beachtlichen Stimmvolumens streckenweise keine Chance gegen das Orchester. Obwohl auch manche der sprachartigen Passagen leicht wackelten, konnte sich der Bariton doch einen sehr guten Auftakt ins Stammbuch schreiben lassen.
Mit Mercedes Gancedo folgte die jüngste Finalistin aller bisherigen Competizione-Jahrgänge. Die 18jährige hatte mit der Arie der Giuletta "Oh! Quante volte" aus Bellinis "I Capuleti e i Montecchi" eine keineswegs einfache Aufgabe zu lösen, entledigte sich dieser aber in durchaus gekonnter Manier. Die Argentinierin hat eine eher gedeckte, "kleine" Stimme, die sie aber gut einzusetzen wußte, wenngleich noch nicht jeder Sprung treffsicher saß und auch einige der längeren Noten leicht wackelten. Das machte die in Kirschrot antretende Sopranistin mit einer Extraportion Gefühl in der großen romantischen Elegie gegen Ende hin wieder wett, und für das eher hölzerne Hornsolo konnte sie ja nichts. Ihr aus Dresden stammender Gesangslehrer wird sich jedenfalls gefreut haben, und sie wurde zudem mit dem Sonderpreis der Oscar und Vera Ritter-Stiftung belohnt.
Hatte anno 2007 gleich ein Quartett Südkoreaner im Finale gestanden, vertrat Il Hong seine Landesfarben diesmal allein. Der Baß bewies in Basilios Arie "La calunnia è un venticello" aus Rossinis Sevilla-Friseur durchaus Stimmgewalt, aber die Stakkati gerieten trotzdem nicht durchsetzungsstark genug. Der Stimmumfang war okay, insgesamt geriet der Vortrag solide, aber wenig auffällig, was das Publikum anders sah - das begann nämlich schon vor dem Schlußton lauthals zu applaudieren.
"Ich singe, weil ich Geschichten erzählen will", hatte Katherine Whyte vorab zu Protokoll gegeben, und das kommte die Amerikanerin in Rezitativ und Arie der Donna Anna "Crudele? ... Non mi dir" aus Mozarts "Don Giovanni" auch gut umsetzen. Energie in der Stimme war da, auch noch in den Höhenlagen ihres Sopranfachs, auch den Emotionengehalt setzte die in Anthrazit antretende Sängerin gut in Szene und hinterließ insgesamt einen sehr professionellen Eindruck, auch durch die geschickte Vibratodosierung. Die koloraturartigen Passagen gerieten allerdings deutlich zu angestrengt und dürften Punktabzug bei der erneut hochkarätig besetzten Jury zur Folge gehabt haben.
Whytes Landsmann Jonathan Beyer agierte in Sir Riccardo Forths Arie "Ah per sempre, io ti perdei!" aus Bellinis "I Puritani" mit ähnlich professionellem Eindruck, aber auch er konnte nicht in allen Belangen überzeugen. Der Bariton offenbarte in den Tiefen einige Tontreffunsicherheiten und im zweiten Teil zudem leichte Timingprobleme. Dafür stimmte die Power, und mit einer starken Kadenz riß er einiges wieder heraus.
Alisa Kolosova hatte mit Orfeos Arie "Che farò senza Euridice?" aus Glucks "Orfeo ed Euridice" die älteste der zehn Finalaufgaben und zudem auch die leichteste bekommen, einen "Hit", mit dem man problemlos hätte glänzen können. Der Konjunktiv deutet an, daß das der russischen Mezzosopranistin nicht gelang - im Gegensatz zu ihrem violett schimmernden Kleid blieb sie gesanglich blaß, setzte Echoeffekte kaum vom "Normalprogramm" ab, sang sauber, aber nahezu völlig emotionslos wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser.
Besser machte es ihr Landsmann Nikolay Shamov, schon der dritte Bariton im Finale, aber auch er sollte in Rodrigos Arie "O Carlo ascolta ... lo morrò" aus Verdis "Don Carlos" eher unauffällig bleiben und zudem noch volumenseitige Reserven offenbaren. Dafür schaffte er es, mit seiner recht "runden" Stimme an beiden Enden seines Stimmspektrums treffsicher zu bleiben, in der Höhe noch mehr als in der Tiefe - das ist für einen Bariton ja nicht ganz unwichtig (über den ähnliche Witze kursieren wie über die Mezzosopranistinnen, dahin tendierend, daß sie weder die eine noch die andere umliegende Stimme beherrschten und man deshalb für sie eine eigene Kategorie einführen mußte).
Arien- und Applauslänge standen bei Krenare Gashi in reziproker Relation, und Liús Arie "Tu che di gel sei cinta" aus Puccinis "Turandot" ist kurz, dafür aber alles andere als einfach, zudem etwas orientalisch angehaucht, was dem kulturellen Background der im Kosovo geborenen Sopranistin durchaus entgegengekommen sein dürfte. Aber auch sonst machte die in Anthrazit gehüllte Sängerin alles richtig: Emotion da, Power da, selbst Text da - und als Sopranistin mit einer solchen stimmlichen Anlage sehr laut zu singen, ohne schrill zu klingen, das ist ein selten zu beobachtendes Kunststück. Das Publikum war hörbar angetan von dieser Leistung, und es war klar, daß hier ein Preis fallen mußte.
Ein Heimspiel hatte Stephanie Atanasov, denn die gebürtige Wienerin gehört mittlerweile zum Ensemble der Semperoper. Mit schwarzem Anzug und goldener Schärpe stach die Mezzosopranistin auch optisch von ihren Mitbewerberinnen ab, und mit Sestos Arie "Parto, ma tu ben mio" aus Mozarts "La clemenza di Tito" hatte sie eine für ihr Stimmfach relativ schwierige Aufgabe bekommen, die sie aber gut löste, obwohl oder auch gerade weil ihre eher gedeckte Stimme wenig Ecken und Kanten aufwies. Dafür stimmte die transportierte Energie und gegen Ende hin auch das Emotionenpotential. Eine insgesamt starke Leistung, die auch vom Publikum applausseitig honoriert wurde.
Russell Thomas hatte es als einziger Tenor ins Finale geschafft, und der Afroamerikaner, der von der nicht immer überzeugenden Moderatorin Bettina Volksdorf in Thomas Russell umbenannt wurde, erfüllte das "Kam, sah und siegte"-Prinzip in allerbester Manier. Macduffs Arie "O figli, o figli miei!" aus Verdis "Macbeth" sang er mit einer alles durchdringenden Stimme, mit der seine Vorfahren die Arbeiter auf den Plantagen in mehreren Kilometern Umkreis hätten zusammenrufen können, aber als Kontrastprogramm überzeugte er mit einer erstaunlichen Wärme in den Pianopassagen, die man der gedrungenen Gestalt mit dem großen Resonanzraum gar nicht zugetraut hätte. Eine latente Treffunsicherheit aufgrund der sehr "breiten" Stimme fiel letztlich nicht ins Gewicht, und das Applausometer für den Tenor schlug fast so stark aus wie das für Krenare Gashi.
Nach der Pause, in der die Jury ihre Wertungen addierte und zugleich das Publikum über die Vergabe des Publikumspreises entscheiden konnte, eröffnete wiederum das Orchester, diesmal mit der Ouvertüre zu Verdis "Luisa Miller" - die leise Einleitung geriet noch etwas zu unkoordiniert, aber das sollte sich legen, und im Verlaufe der Spielzeit wurde es mit einem prächtigen Holzsolo und sauber gespielten Speedattacken immer besser. Zur Preisverleihung hatte sich Competizione-Chefdenker Hans-Joachim Frey diesmal einen Ehrengast eingeladen, und zwar Maximilian Schell, der augenzwinkernd aus seiner eigenen Karrierejugend plauderte und zum besten gab, daß es für ihn früher Verrisse gehagelt hätte, letztlich aber doch noch etwas Brauchbares aus ihm geworden sei. Nun, Verrisse hageln muß es anhand dieses Finalkonzertes, das sich erneut durch eine relative Homogenität der Sangesleistungen mit nur geringer Amplitude nach oben und unten auszeichnete, keineswegs - und anno 2008 herrschte im Gegensatz zu den beiden Jahren zuvor außerdem noch perfekter Einklang zwischen der Jury und dem Rezensenten. Letzterer hatte die Startnummern 1 sowie 8 bis 10 als Spitzengruppe notiert, und aus diesen rekrutierten sich letztlich auch die drei regulären Preisträger. Stephanie Atanasov erreichte den dritten Rang, Russell Thomas durfte auf das oberste Treppchen steigen (und seine Arie somit gleich noch einmal singen), und Krenare Gashi fand ihren zweiten Platz noch mit dem hochgradig verdienten Publikumspreis garniert. So endete die 2008er Auflage dieses angesehenen Nachwuchswettbewerbes in fast perfekter Harmonie und läßt auf eine weitere stringente Arbeit und noch lange Dresden-Fokussierung hoffen. www.competizionedellopera.de hält den Interessenten dauernd auf dem laufenden.



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