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Philharmonic Rock, Sound Of Giants   30.08.2008   Klosterbuch, Klostergelände
von rls

Dieses Event war eingebunden in den Mittelsächsischen Kultursommer, eine Veranstaltungsreihe mit einem vielschichtigen Angebot an kulturellen Veranstaltungen aller Art innerhalb eines gedachten Dreiecks, dessen Eckpunkte die drei sächsischen Metropolen Leipzig, Chemnitz und Dresden bilden, welchselbige allerdings nicht an den Veranstaltungen partizipieren, also sozusagen außerhalb der Dreiecksfläche liegen, die damit ausschließlich ländlich-kleinstädtisch geprägt ist. Mit einer entsprechenden Zielgruppe muß man als Veranstalter also kalkulieren und die Schwelligkeit entsprechend berücksichtigen - ein Konzept, dem man mit dem Philharmonic Rock auf einer eher niedrigen Schwellenhöhe zu folgen suchte. Provinz as Provinz can sozusagen, wobei eine solche Aussage nicht mal einen negativen Beigeschmack beinhalten muß - 95% der Besucher (die Gesamtzahl war schwer zu schätzen, aber es werden sicher kaum weniger als die gemunkelten 4000 des letztjährigen Events unter gleichem Motto gewesen sein) würden garantiert nie in ein reines Orchesterkonzert gehen, und so geht für diese Zielgruppe auch ein nach gängigen elfenbeintürmernen Maßstäben, über deren Berechtigung oder Nichtberechtigung hier ebenfalls nicht diskutiert werden soll, niedrigschwelliges Angebot noch als Ausdruck der Hochkultur durch. Man kann natürlich auch den kulturanthropologischen Aspekt ganz aus der Betrachtung entfernen und eher Eventtypologie zu betreiben versuchen - Fakt ist, daß sich hier ein Event gewissermaßen sein eigenes Publikum herangezogen hat, denn die Erstauflage des Philharmonic Rock-Projektes zehn Jahre zuvor soll noch äußerst mäßig besucht gewesen sein, was sich aber im Laufe der Zeit praktisch per Eigendynamik geändert hat und so auch an diesem milden Sommerabend zu einem sehr gut gefüllten Klosterareal führte.
Freilich rief diese Füllung und der dadurch in Bewegung zu setzende Apparat auch nicht zu unterschätzende organisatorische Probleme hervor (daß am Einlaß keiner was von den vereinbarten Pressetickets für den Rezensenten wußte, war da noch das kleinste Problem, das sich auch anstandslos klären ließ). Daß die Fähigkeit einer vieltausendköpfigen Menschenmenge zur Selbstorganisation im Falle des strategisch sinnvollen Beparkens einer Wiesenfläche nur sehr gering ausgeprägt ist, hatten die Organisatoren verstanden und dort für einen relativ stringenten Ablauf durch eine Einweisermannschaft gesorgt - daß aber die gleichen Fähigkeitsmängel auch bei der Platzsuche auf dem Klosterareal auftreten würden, war ihnen offenbar entgangen. Da wenig Sitzmöglichkeiten vorhanden seien, hieß es auf der Homepage des Kultursommers, ein Klappstuhl könne gern mitgebracht werden, und das Gros der Besucher nahm diese Möglichkeit auch an und plazierte sich dann in einem wilden Durcheinander auf dem Klosterareal, dabei oftmals so dicht, daß kaum ein Durchkommen war, und das auf einer Breite von Dutzenden Metern ohne jegliche Gasse o.ä. - bei einer auch nur kleinen Panik wären aufgrund fehlender Fluchtmöglichkeiten und der dann als Hindernisse wirkenden Klappstühle Dutzende Menschen totgetrampelt oder in einem wüsten Haufen Klappstuhlmüll erdrückt worden. Die Security wiederum ging an der linken Flanke vergleichsweise rabiat gegen die Besucher vor, die aufgrund des Nichtdurchkommens im Hauptblock nach links auf einen abgesperrten Weg auswichen (das wurde erst nach langen Diskussionen gelöst, indem dieser Weg dann doch noch freigegeben wurde und die Besucher sich so weit zu disziplinieren wußten, daß sie ihn nicht zustellten) und befleißigte sich auch, Besucher, die angeblich anderen im Wege standen (es war wohlgemerkt keine Sitzpflicht angeordnet worden) auf andere Plätze zu delegieren, wo sie dann wieder anderen Besuchern im Wege standen - statt dessen hätte sie sich mal lieber um diejenigen kümmern können, die platzraubende Campingtische aufgebaut hatten (!), entgegen des Verbotes ihre eigenen Nahrungsmittel eingeschmuggelt hatten (!!) und mit Teelichtern hantierten (!!!). Der Umgang mit offenem Feuer in dieser Form ist nicht umsonst auf allen anderen dem Rezensenten bekannten Festivals zumindest auf dem Hauptgelände verboten, und auch hier wäre das Gras trocken genug gewesen, um Feuer fangen zu können (der letzte Niederschlag, zumindest in der 40 Kilometer entfernten Heimat des Rezensenten, war eine Woche her). Nach Aussagen von Besuchern, die im Gegensatz zum Rezensenten bereits bei vorherigen Auflagen des Events dabeigewesen waren, waren ähnliche Zustände schon damals zu beobachten gewesen - daß hier 2008 wie auch bei den letzten, ähnlich stark besuchten Auflagen nichts passiert ist, kann nur mit Glück erklärt werden, und man sollte nicht erst über gewisse Maßnahmen nachdenken, wenn das Kind schon in den Katastrophenbrunnen gefallen ist. Mit 800 Bierzeltbänken wäre beispielsweise problemlos eine geordnete Verteilung des Publikums mit Fluchtwegen auch im Mittelteil des Geländes zu erreichen gewesen.
Konnte wenigstens die Bühnendarbietung die organisatorischen Mängel aufwiegen? Eine Frage, die mit einem klaren Jein zu beantworten ist. Als Vorband standen zunächst Sound Of Giants auf der Bühne, die mit der Adaption des Slogans "Das Beste der 70er, der 80er und der 90er" verschiedener austauschbarer Formatradios Befürchtungen einer Stromlinienförmigkeit aufkommen ließen, die sich in der Setlist dann auch größtenteils bewahrheiten sollten. Das Quintett spielte in der Besetzung von drei Sängern, einem Gitarristen und einem Keyboarder - alle Rhythmusparts kamen also aus der Konserve, was einerseits die typische Überbetonung des Bassdrumsounds mit sich führte, andererseits aber kein entscheidendes Problem gewesen wäre, wenn sich die Songauswahl denn auf den Plastikbereich der gewählten Zeitspanne beschränkt hätte. Überwiegend tat sie das auch, aber eben nicht durchgehend, und Paul Kossoff hat sich bei der verhunzt-sterilen Fassung von "All Right Now" sicherlich im Grabe herumgedreht. Schade war's zweifellos um das durchaus vorhandene technische Können des Gitarristen, das dieser mit einem schönen getappten Solo gleich im zweiten Song "Maniac" unter Beweis stellte - danach schob ihn der Soundmensch immer weiter ins klangliche Abseits, aus dem er nicht mal während des Riffs von "All Right Now" hervortreten durfte; auch die Mikrofone ließen das Feintuning weitgehend vermissen, was zu einer wechselnden Hörbarkeit der Vocals und zum grundsätzlichen Fehlen des ersten Satzes jeder Ansage führte, wobei letztgenanntes wiederum kein Problem war, beschränkten sich die Ansagen doch auf bodenständig Gedachtes (aber nichtssagend Wirkendes) und kultig Gemeintes (aber Nervendes). Der Gesang bildete sowieso ein Kapitel für sich: Die beiden Damen erledigten einen weder schlechten noch guten Job, in "La Isla Bonita" durchaus Können beweisend, in "Africa" aber fürchterlich neben der Spur liegend - eine durchschnittliche Leistung also, wohingegen der männliche Leadsänger schon im dritten Song "Walk Through The Park" so schief agierte, daß es nur noch wehtat; er unterbot diese Leistung aber noch in "We Will Rock You" mit einer Mixtur aus fehlendem Volumen und viertel- bis halbtönig verfehlten Noten, so daß Freddie Mercury es seinem Kollegen Kossoff gleich getan haben müßte. Arrangementseitig hielten sich Sound Of Giants zumeist an die Vorlagen und hätten gut daran getan, das durchgehend so zu handhaben, da sich die Abweichungen auf simple und wenig reizvolle Motivwiederholungen beschränkten. Gegen Ende hin faßte das Quintett mehrere Songs in Medleyform zusammen und verkürzte so die Qual für den anspruchsvolleren Teil des Publikums - die Animationsversuche der Band waren meist schnell wieder abgeebbt, man applaudierte zum jeweiligen Songende hin freundlich, aber kaum mehr, und selbst der unkritische Teil des Publikums bewies genügend Geschmack, um das Einfordern einer Zugabe tunlichst zu unterlassen.
Das Philharmonic Rock-Projekt schraubte das Niveau anderthalb Stufen höher, was allerdings zugegebenermaßen auch keine große Schwierigkeit darstellte. Dirigent Stefan Fraas hat ja schon reichlich Erfahrung mit Klassik-meets-U-Musik-Projekten, und an diesem Abend stand er der Mittelsächsischen Philharmonie vor, während für den Rockfaktor die vierköpfige René-Möckel-Band sorgte. Dazu kamen vier Tänzerinnen und ein Arsenal von Sängerinnen und Sängern, die summiert in einem 20 Punkte umfassenden Programm entweder im reinen Klassik- oder im reinen Rockbereich agierten oder eben beides miteinander verknüpften, wobei letztgenannte Vorgehensweise die Majorität des Programms stellte, das als Best Of der letzten neun Veranstaltungen unter gleichem Banner konzipiert war und daher ohne irgendeinen roten Faden auskommen mußte. Freilich: Wenn das Gebotene dieses Abends das Beste des letzten Jahrzehnts darstellt, ist der Rezensent froh, die anderen neun Auflagen nicht gesehen zu haben, denn deren Höhepunktdichte muß sich demnach in noch deutlich geringerem Bereich bewegt haben. Zunächst fielen soundliche Probleme auf, die das Orchester immer dann, wenn die Rhythmusgruppe der Band spielte, zur kaum noch wahrnehmbaren Hintergrundgeräuschkulisse degradierte - den halben Set brauchte der Soundmensch, um dieses Problem zumindest halbwegs in den Griff zu bekommen, und ein ganz ausgewogenes Klangbild sollte ihm in der Mixtur bis zum Schluß nicht gelingen. Hört man aber eine Hälfte der Klangzutaten kaum oder gar nicht, geht das ganze "Philharmonic Rock"-Konzept nicht auf, und so nahmen die reinen Klassiknummern in Gestalt von Arien etwa aus "Don Pasquale" zwar ein wenig den Fluß aus dem Programm, aber für sich betrachtet funktionierten sie wenigstens, und Sopranistin Andrea Hubak im scharlachroten Kleid konnte sich als eine der tragenden Säulen feiern lassen. Von diesen gab es nämlich gar nicht so viele, und auch die zweite trug Rot: Teufelsgeiger Michael Jelden sorgte schon mit der Filmmusik aus "Schindlers Liste" für emotionale Gänsehaut und bekam später für die witzige Solokadenz in "Tanz der Kobolde" verdienten (und im Hauptset den einzigen!) Szenenapplaus. Die dritte Säule vergaß der oftmals neben der Spur liegende mönchsartig gewandete Moderator (man muß englischsprachige Musikernamen nicht zwingend korrekt aussprechen können, aber wenn man auch deutschsprachige Musikernamen nicht korrekt aussprechen kann, sollte man sich einen anderen Job suchen, und pseudokultige Mantras hauen eine weitere Kerbe ins Holz) bei der Vorstellung der Solisten fieserweise ganz: Der Saxophonist kam nur selten zum Einsatz, aber wenn er spielte, setzte er kleine Glanzlichter, sobald man ihn denn hören konnte. Der Soundmensch brachte es nämlich über die komplette Konzertdistanz nicht fertig, den jeweils solierenden Musiker pünktlich zum jeweiligen Einsatz laut genug zu drehen, so daß die jeweilige Soloeinleitung fast durchgängig akustisch im Nirwana landete. Darunter hatte auch Andreas "Eddy" Gemeinhardt an der Gitarre zu leiden, der mit dem Instrumental "Always With Me, Always With You" (im Original von Joe Satriani) für einen weiteren der seltenen emotionalen Höhepunkte sorgte, konterkariert von "Time To Say Goodbye", das die Beteiligten komplett in den Sand setzten - das ist einer dieser Songs, bei dem alle aus bekannten Gründen zum Weinen gebracht werden MÜSSEN, hier indes weinte man ob der Emotionslosigkeit, mit der der Song von der Bühne erscholl. Orchester und Dirigent taten, wenn man sie denn vernehmen konnte, über weite Strecken ihre Pflicht, und zwei Leinwände neben der Bühne blendeten entweder Ausschnitte aus den Filmen ein, deren zugehörige Musik erklang, oder zeigten das Geschehen auf der Bühne - bei "Dirty Dancing" hatte der Regisseur allerdings auch nicht seinen besten Tag erwischt: Dynamisch determinierte Bilder im Film wurden mitunter sekundenlang vor oder nach Musikmomenten der entsprechenden Dynamik plaziert, und ausgerechnet in der berühmten Sprungszene der Abschlußfeier, die immerhin die zentrale Aussage des ganzen Films enthält, plötzlich wieder auf die Bühne zu blenden zeugt von allem anderen als Einfühlungsvermögen. Gleiches Problem: "Gangsta's Paradise" mit Rapvocals zu versehen ist okay, hier bilden sie einen organischen Bestandteil des Ganzen - Led Zeppelins "Kashmir" mit Rapvocals zu versehen ist ein Sakrileg. Die stärkste Phase im Set, der übrigens ohne Pause durchgespielt wurde, läutete das bereits erwähnte "Tanz der Kobolde" ein, auch publikumsseitig bis dato mit dem stärksten Applaus versehen, der sich beim Medley "Giants Of Rock" aber noch steigerte - abgesehen von den hier wieder verstärkt zutage tretenden Soundproblemen hatte man damit zweifellos das Herzstück des Sets erkannt, wobei sich Andreas Gemeinhardt erneut ein Sonderlob verdiente, indem er im Riff von "Smoke On The Water" auch Ritchie Blackmores berühmten Riffpatzer aus der "Made In Japan"-Aufnahme simulierte, wenn auch nicht ganz originalgetreu. Zudem bot dieser Part in "Highway To Hell" mit den vier Tänzerinnen als weibliche Antworten auf Angus Young verkleidet auch den kultigsten optischen Moment des ganzen Sets. Nur die erste von mehreren Zugaben konnte dieses Niveau noch zumindest ankratzen - Andrea Hubak und der Chefdenker des Projektes, Jens Pfretzschner, intonierten "Barcelona". Daß die Sopranistin dem "Original" Montserrat Caballé zumindest keine Schande machen würde, war zu erwarten, aber warum Pfretzschner, der schon vorher einen guten Anteil der Leadvocals übernommen hatte, erst hier bewies, daß er in der Lage ist, Töne mittig zu treffen und zu halten, und daß er das auch noch richtig gut kann (Freddie M. damit wohl wieder für das "We Will Rock You"-Desaster der Vorband versöhnend), das sollte zu den ungelösten Geheimnissen dieses Abends gehören (wobei anzumerken wäre, daß er in den rockdeterminierten Passagen, wo auch eine flächigere Gesangsspur nicht stört, keine schlechte Figur machte und in einzelnen Passagen gar bewies, daß man ihn auch ans Mikro einer Gothic Metal-Band stellen könnte - aber es gab auch reichlich Passagen, wo ein klares Treffen und Halten von Tönen bzw. Tonfolgen vonnöten gewesen wäre, und das praktizierte er im kompletten Hauptset nicht, sondern eben erst in der Zugabe), der von dieser Sorte leider ein paar zuviel beinhaltete, so daß selbst die niedrig liegende Latte nicht selten gerissen wurde. Irgendwie muß auch das Publikum gespürt haben, daß hier und da Hasen im Pfeffer lagen - es applaudierte deutlich stärker als bei der Vorband, aber der stimmungsmäßige Bär tobte nur ganz kurz, nämlich am regulären Setende nach dem "Tanz der Kobolde" und "Giants Of Rock", die dem intendierten Freudenfest insgesamt am nächsten kamen; der Rest der zweieinhalb Stunden blieb ein kleines bis großes Stück davon entfernt.



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