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Summer Open Air   11.07.2008   Geithain, Pfarrhof
von rls

Dieses Festival wird von der Jungen Gemeinde Geithain (auf halbem Wege zwischen Leipzig und Chemnitz im schönen Sachsenlande gelegen) jedes Jahr zum Ende des Schuljahres veranstaltet; der Rezensent war zum ersten Mal vor Ort (die beiden Jahrgänge zuvor hatte er sich zum fraglichen Zeitpunkt jeweils in über 4000 Metern Höhe in Rußland befunden) und konstatierte ein durchschnittlich sehr junges Publikum, das sicherlich zu mindestens drei Vierteln jünger war als sein Scorpions-Shirt (klassische Besetzung, also schon mit Jabs und noch mit Buchholz). Die strukturelle Überraschung: Von der Bühne erschallte zumeist Musik, die stilistisch eher nicht unter die klassische Teeniekompatibilität zu fallen drohte - und das Publikum erwies sich als äußerst feierfreudig, geschmackssicher und begeisterungsfähig, was sicher auch mit daran lag, daß gleich drei der vier Bands auch schon im 2007er Billing gestanden hatten, man also schon wußte, was man zu erwarten hätte.
Der einzige Neuzugang des Billings spielte gleich als Opener und setzte der Überraschung die Krone auf, denn Fluxkompensator erwiesen sich als die stilistisch am weitesten rückwärtsgewandte Band des Abends, wurden aber trotzdem so lautstark abgefeiert, als ob sie gerade den Rock'n'Roll erfunden hätten. Das Quartett tituliert seine Musik selbst als "Sick Rock", was irgendwie paßt, aber den Hörer ohne weitere Informationen trotzdem etwas im Regen stehen ließe. Letztlich ergab sich eine Mischung aus polterndem Uraltrock Marke The Who und Psychedelic Rock aus der Hawkwind-Schmiede, wobei letzterer gegenüber dem bisweilen noch etwas unbeholfen und wohl ungewollt punkig wirkenden ersteren die qualitative wie auch quantitative Dominanz ausübte. "Little Lies" an Setposition 3 etwa bildete fast reinrassigen Psychedelic, gestützt auch durch einzelne Keyboardflächen oder Soundeffekte, die der Sänger nebenbei noch mit erzeugte, wobei diese Parts aber keinen allzu breiten Raum einnahmen. Häufige Tempowechsel saßen meist an den passenden Stellen, man spielte also bedarfsweise auch mal ein Riff länger durch oder vermied es, die teils recht ausgedehnten Solopassagen zu zerhacken. Der Leadgitarrist fiel übrigens nicht nur durch kompetentes Spiel auf, sondern auch dadurch, daß er sich bei bestimmten Effektpassagen herumdrehte, also dem Publikum den Rücken zuwandte - Eddie van Halen ließ also freundlich grüßen. Der Sänger wiederum stellte optisch eine Mixtur aus Robert Plant und Shane Embury dar und konnte auch stimmlich überzeugen, wohingegen an den mehrstimmigen Passagen noch gefeilt werden muß. Dem um fast eine Stunde verzögerten Beginn (Gewitter hatten die Aufbauarbeiten zeitweise unterbrochen, und dieser Zeitverlust war nicht mehr wettzumachen) konnte man sogar noch etwas Gutes abgewinnen, denn Fluxkompensator beamten ihre klar evangelikalen Lyrics auf eine Leinwand links neben der Bühne, und in der langsam hereinbrechenden Dämmerung während der zweiten Hälfte ihres Sets konnte man die dann endlich auch lesen. Als Closer hobelten die vier wackeren Vogtländer (wo hat der Rezensent den Bassisten nur schon mal gesehen?) "Rockin' In A Free World" in einer starken, wieder solistisch weit ausgedehnten Version herunter, durften zeitbedingt trotz Forderungen des Publikums aber keine Zugabe mehr spielen.
Steeproad hatte der Rezensent vor fast drei Jahren erst- und bisher auch letztmalig live gesehen, und das, obwohl der Proberaum des Quartetts gerade mal 10 Kilometer von seiner Homebase entfernt liegt. Schnell stellte sich heraus, daß die vier Jungs in der Zwischenzeit einen großen Schritt vorwärts gemacht hatten. Ein gutes Händchen in puncto Songwriting hatten sie zwar auch damals schon angedeutet, aber nunmehr war eine deutliche Professionalisierung im Gesamtbild festzustellen, und das Quartett lieferte einen rundum gelungenen Gig ab. Stilistisch lag der Fokus nach wie vor im Modern Rock mit diversen Grunge-Elementen, auf Ska- und ähnliche stilfremde Experimente verzichtete die Band über weiteste Strecken (auf Soloeinlagen der Saitenfront übrigens auch), statt dessen ein sehr kompaktes Stilbild zeichnend, ohne aber Langeweile aufkommen zu lassen, wenngleich dem Soundgewand hier und da noch eine schärfere Trennung zwischen Gitarre und Baß zu wünschen gewesen wäre. Gesanglich blieben die Hetfield-Parallelen, die schon vor drei Jahren feststellbar waren, erhalten, ohne indes in kopistische Nähe zu geraten; die generelle Verteilung hatte sich ein wenig zugunsten der rauheren Artikulation verschoben, wobei man auch in diesem Falle die Texte, ebenfalls deutlich evangeliumsbasiert, auf der Leinwand mitlesen (und gleich im Opener eine wohl ungewollte Diskrepanz zwischen Gesungenem und Gelesenem entdecken ...) konnte. "A.F." bildete den einzigen deutschsprachigen Song im Set (zugleich auch den ältesten), "Blessed Be Your Name" packten die Jungs als Coverversion aus (von wem war gleich noch das Original?) und beschlossen ihren Set mit "It Is Accomplished", ihrem härtesten, metallastigsten Track, der in Gestalt der Passage "O father, why have you forsaken me?" auch den eindringlichsten Moment des ganzen Sets beinhaltete. Auch Steeproad erhielten begeisterten Applaus, auch sie mußten zeitmangelbedingt aber auf eine Zugabe verzichten.
High Fidelity waren die zweiten Vogtländer im Billing und stiegen nach einer derart kurzen Umbaupause auf die Bühne, daß man kaum Zeit hatte, sein Steak (sehr lecker übrigens!) zu vertilgen. Das Quintett war als Funkrock angekündigt, aber so viel Funk enthielt zumindest die Livedarbietung gar nicht, trotz bisweilen sehr auffälligem Baß - das Gesamtbild war jedenfalls deutlich in den Hardrock verschoben, obwohl strenggenommen für eine reine Einsortierung dort wiederum die Riffpower fehlte. Trotzdem spielten sich die Gitarristen ins Herz jedes Zuhörers, besonders der Leadgitarrist gehörte definitiv zu den Könnern seiner Zunft und bekam im Material auch ausführlich Gelegenheit, das mit feinen Soli zu demonstrieren. Im Opener fiel zwar seine Gitarre gleich komplett aus, aber rechtzeitig zum Solospot hatte er das Problem tatsächlich behoben. Vom Songwriting her präsentierte sich das Quintett durchaus originall und wie beschrieben nicht so richtig festzulegen, wobei im jugendlichen Überschwang auch schon mal die Pferde mit der Band durchgingen, also noch nicht ganz jeder Einfall paßgenau saß - ein typisches Beispiel bildete der etwas aufgesetzt wirkende Einbau des "Ghostbusters"-Themas oder auch der in einem Song massiv praktizierte Rapgesang, der auch nicht so richtig passen wollte, wohingegen der Folgesong als Kontrastprogramm reinen Metal mit einem wild bangenden Leadgitarristen auffuhr, was in seiner Stringenz deutlich mehr überzeugte. Ein Kunststück ganz eigener Art hatten High Fidelity aber schon zuvor fertiggebracht: Sie coverten "Feelin' Groovy" von Simon & Garfunkel in einer brettharten Rockversion und schafften es, das Publikum mittig zu teilen und jeweils hälftig lautstark mitsingen zu lassen - man erinnere sich: Drei Viertel des Publikums hätten alterstechnisch Enkel von Paul S. und Art G. sein können. Den stärksten Eindruck eines generell sehr guten und professionellen Sets machten die Schlußtracks, neben genanntem Metalsong unbekannten Titels noch die Mitsinghymne "Funky Boy Scout" und der evangelikale Closer "Follow", eine weitere Hymne, diesmal auf einem imaginären Grat zwischen den Gipfeln Black Sabbath und Led Zeppelin. Das Quintett stellte zugleich die bewegungsaktivsten Musiker des Abends (vor allem der Sänger und der Bassist rannten wie wild über die Bühne) und hinterließ einen sehr guten Eindruck - eine Zugabe aber war auch hier wieder nicht drin.
Als Blossom die Bühne betraten, hatte der Freitag schon das Zepter an den Samstag übergeben und ein Teilumbau des Publikums stattgefunden - einige der Jüngeren waren gegangen, dafür hatte sich die lokale Oi-Fraktion eingefunden, um zum mitreißenden Ska-Rock-Mix der Messestädter vor der Bühne friedlich hin und her zu pogen (die wenig passenden "Oi-Oi-Oi"-Schlachtrufe konterte der Bassist witzig mit "Warum nicht Ska-Ska-Ska"?, wonach die Fronten geklärt waren). Blossom traten in einer Sechserbesetzung an, wobei als neues Experiment die eine der beiden Saxophonistinnen nebenher gelegentlich auch noch ein Keyboard bediente, was allerdings relativ weit in den Hintergrund gemischt worden war und daher in der vorliegenden Situation wenig Akzente setzen konnte. Dafür machte das dreiköpfige Gebläse (Kopf 3 pustete seinen Luftstrom in eine Trompete) in seinem Hauptbetätigungsfeld erwartungsgemäß viel Laune, wenngleich einige kleine Einsatzunsicherheiten dem geübten Ohr nicht verborgen blieben. Die Rockseite wurde von der anderen Hälfte des Sextetts bedient, wobei alle drei Menschen noch mehr oder weniger große Teile des Gesanges übernahmen; der Anteil mehrstimmiger Passagen schien allerdings gegenüber früher etwas heruntergefahren worden zu sein, wohingegen der Bassist bedarfsweise auch in einer Höhe agierte, als würde er sich für vakante Posten bei diversen Power Metal-Bands bewerben. Nicht mehr in der Mannschaft war Zweitsänger/Zweitgitarrist Sebastian Hupfer, dessen Posten auch nicht neu besetzt worden waren, was aber keine Probleme aufwarf - Druck machte das Material auch so noch genug. "Where Panic Hits" oder "Lid'l Ska Band" vertraten die Fraktion der eigenen Bandklassiker im Set, auch "Two Princes" als Cover ist bereits Standard, aber dem gesellten sich zwei weitere Fremdkompositionen hinzu, zum einen "Down By The Riverside", zum anderen eine von vielen fälschlich mit russischer Herkunftsvermutung belegte, weil das einzige ihren Refrain bildende Wort phonetisch an "Kalbasa" (russisch für "Wurst") erinnert. Und siehe da: Beide funktionierten als Skaversion. Die Stimmung im Publikum war prächtig, und da auch hier die Zugabeforderungen kein Ende nehmen wollten, wurde Blossom letztlich noch eine vierminütige Überdosis zugestanden, die Sänger/Gitarrist Tobias mit seinem gewohnt trockenen Humor kommentierte: "Dann müssen wir den Song aber schneller spielen." So setzten die Leipziger einem gelungenen Festival im gemütlichen Ambiente des Pfarrhofs unter der Nikolaikirche (man hatte trotz unsicherer Wetterlage entschieden, nicht in die Kirche auszuweichen, und wurde belohnt, denn nur bei Steeproad fielen noch einmal einige wenige Regentropfen, ansonsten blieb es trocken und mild) die Krone auf. Bis nächstes Jahr!



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