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Der Jugend Feuerpulse   18.02.2007   Leipzig, Gewandhaus
von rls

Der Begriff "Jugend" ist ja relativ. Felix Mendelssohn Bartholdy beispielsweise stand mit 26 Jahren bereits als Kapellmeister vor dem Gewandhausorchester, also einer der renommiertesten Positionen, die man damals (wie noch heute) in der Musikwelt einnehmen konnte - heutzutage dagegen hat man als Dirigent in diesem Alter im besten Fall grade mal sein Studium hinter sich und ackert sich, wenn man nicht gerade schon während der Studienzeit ausnahmetalentige Begabungen plus entsprechender Connections vorzuweisen hatte, durch die Orchesterprovinz nach oben. Am Pult steht nun an diesem Abend James Gaffigan, zwar 27 oder 28, aber durch eher geringe Körpergröße und eine fast jungenhafte Optik deutlich jünger wirkend und damit irgendwie zum Motto des Programms (mit dem Dirigent und Orchester wenige Tage später zu einer Spanientour aufgebrochen sind) passend. Für sein Alter hat der Amerikaner jedenfalls schon einige Referenzen vorzuweisen, und - das sei vorweggenommen - auch das Programm dieses Abends im nahezu vollen Gewandhaus kann er auf der Erfolgsseite verbuchen.
Zwei der vier in diesem Konzert erklungenen Werke kann man mit gutem Gewissen noch unter die Jugendwerke der jeweiligen Komponisten zählen. Das erste eröffnet gleich den Abend, nämlich die "Rienzi"-Ouvertüre von Richard Wagner. "Rienzi" war (wenn man drei kleinere Frühwerke in dem Dunkel der Musikgeschichtsschreibung beläßt, in dem sie seit über anderthalb Jahrhunderten vor sich hindämmern) Wagners "richtiger" Opernerstling, den er 1840 fertiggestellt hatte, wobei es aber noch bis 1842 dauern sollte, was die Uraufführung betraf, die letztendlich in Dresden stattfand und komischerweise ein riesiger Erfolg wurde - komischerweise, weil das Betreten musikalischen Neulands nur in seltenen Fällen gleich beim ersten Versuch derart enthusiastische Reaktionen hervorruft wie in diesem Fall, der Wagner letztlich sogar eine Kapellmeisteranstellung auf Lebenszeit in Dresden einbrachte, die er allerdings nach der gescheiterten Revolution 1848/49 wieder verlor. Die revolutionäre Affinität des Komponisten, die er zumindest in der Feuerpulsperiode seiner Jugend hegte (bevor er sich in der germanischen Mythologie gemütlich einzunischen begann), läßt sich auch im Thema dieser Oper wiederfinden, denn es geht um den Freiheitskampf des Römers Rienzi im 14.Jahrhundert, der die alte Republik wiederherstellen will. Diesen Kampf setzt Wagner schon in der Ouvertüre mit für die damalige Zeit unerhörten musikalischen Mitteln um - da rumort das Schlagwerk, da rufen die Blechbläser zum Streit, da werden gigantische Bombasttürme in die Schlacht geführt, und man erkennt Wagner hier sozusagen als quadrierte Version von Weber, der im "Freischütz" ja auch schon gern, aber noch zurückhaltend und storyimmanent polterte, wobei Wagner aber auch noch ein paar Elemente der französischen Tugend, mit Musik Bilder zu malen, ergänzt und das Gepolter bisweilen zum Selbstzweck erhebt, dabei aber grundsätzlich mit Stil poltert und nicht deshalb, weil er etwa einfach nur planlos Instrument auf Instrument setzt - das erkennt man in den geschickt gesetzten atmosphärischen Breaks, den Laut-Leise-Dynamics, wie man das in heutiger Jugendmusiksprache benennen würde. Nachdem sich das Blech ordentlich warmgespielt und der Dirigent die Musiker temposeitig an die Kandare genommen hat, poltert und atmosphärt das MDR Sinfonieorchester jedenfalls gerne mit, vor allem der große bombastische Schluß der Ouvertüre gelingt in beeindruckend raumgreifender Manier. "Wahnsinn", meint einer in der Reihe hinter dem Rezensenten - naja, Wahnsinn nicht, aber beeindruckende Größe war das schon, und beinahe headbangende Kontrabassisten wie hier im Schlußteil sieht man im klassischen Bereich auch eher selten.
Der eingangs erwähnte Felix Mendelssohn Bartholdy hatte fast zur gleichen Zeit, als der neun Jahre jüngere Wagner seinen "Rienzi" fabrizierte, sein Violinkonzert e-Moll im Kopf, brauchte allerdings sechs Jahre, bis er es vollendet und niedergeschrieben hatte, so daß es erst 1845 im Gewandhaus mit dessen Konzertmeister Ferdinand David, für den Mendelssohn es auch geschrieben hatte, als Solist seine Uraufführung erlebte - zweifellos also nicht mehr als Jugendwerk zu bezeichnen. Mendelssohns deutlich basischere kompositorische Herangehensweise zeigt sich schon augenfällig darin, daß nach dem Wagner-Stück ein Drittel des Orchesters seinen Platz verläßt. Als Solistin betritt Arabella Steinbacher die Bühne - oder besser: sie schwebt herein, denn obwohl sie größer als der zwei Jahre ältere Dirigent ist, erweckt sie bisweilen den Eindruck einer Art ätherischen Wesens, der durch ihr federleicht-entspannt wirkendes, zumeist recht weiches, fast "singendes" Spiel und ihren nicht nur während des Spiels, sondern auch in den Spielpausen in harmonischen Bewegungen wiegenden Oberkörper eine weitere Bestätigung erfährt. Daß sie dem Stück mehr als nur gewachsen ist, steht außer Frage, und es ergibt sich die Situation, daß sie tatsächlich in der Lage ist, die gedachte Symbiose von Solist und Orchester herzustellen, wobei das Orchester seinen Teil dazu beiträgt - schließlich handelt es sich auch noch um ein Werk mit der Neuerung, daß mitunter nicht der Solist die Themen vorspielt, die das Orchester dann weiterverarbeitet, sondern auch mal die umgekehrte Richtung eingeschlagen wird, und da ist das Eingehen aufeinander nochmal wichtiger als in der herkömmlichen Richtung. Die Mendelssohnsche Leichtigkeit, Eingängigkeit, fast Hittigkeit kommt in der Umsetzung dieses Abends jedenfalls sehr gut zum Tragen, und nur im Finale wird die Harmonie an einigen wenigen Stellen etwas getrübt, denn da deckt das Orchester die Solistin hier und da einen Deut zu intensiv zu, und diese kann offensichtlich auch nichts mehr hinzusetzen, um diese Decke zu durchdringen. Aber das bleibt ein kleiner Schönheitsfehler einer ansonsten richtig guten Leistung.
Teil 2 des Abends gehört Richard Strauss, zum einen mit "Don Juan" (dem zweiten Jugendwerk des Abends, geschrieben mit 25), zum anderen mit der "Rosenkavalier-Suite" (am Vorabend des Rosenmontags irgendwie eine nicht unlogische Wahl, allerdings beim besten Willen kein Jugendwerk mehr). Die jahrzehntelange Entwicklung der Tonsprache zwischen dem ersten und zweiten Teil des Konzerts bemerkt man recht deutlich, wenngleich Strauss aus heutiger Sicht noch nicht zu den großen Negierern der Tonalität zu zählen ist und gerade der "Rosenkavalier" eher als Exempel für rückwärtsgewandtes Musizieren gilt, was nicht nur an den nicht seltenen Walzeranklängen liegt. "Don Juan" wiederum hat durchaus den einen oder anderen Wagner-Anklang geparkt, wirkt insgesamt aber subtiler, wenngleich ohne Kenntnis des zugrundeliegenden Gedichtes von Nikolaus Lenau (obwohl Strauss dieses nicht etwa konsequent vertont, sondern sich lediglich die Hauptfigur ausgeliehen und deren Charakterzüge in Töne umzusetzen versucht hat) nicht bis ins Letzte entschlüsselbar. Ein ohne Hintergrundkenntnis völliges Paradoxon stellt jedenfalls der Schluß dar, in dem sich der von der Jugend feuerdurchpulste Held (hier stammt der Programmtitel her) plötzlich kraftlos wiederfindet und schnell verglimmt, einen kleinen Aschehaufen hinterlassend. Der Kontrast zwischen powervollen Themen, schwelgenden Intermezzi und dieser völlig hoffnungslosen Coda wird vom Orchester jedenfalls gut umgesetzt, nachdem es der Dirigent wiederum temposeitig an die Kandare genommen hat. Letztgenanntes Phänomen soll sich in der "Rosenkavalier-Suite" noch einmal wiederholen. Diese Suite bündelt die zentralen Szenen der Oper in Instrumentalkonzertform, setzt also auch die Gesangsstimmen aufs Orchester um, wobei speziell die Holzbläser einiges zu tun bekommen und diese Rolle an diesem Abend auch durchaus rechtfertigen. Wofür das Orchester nichts kann, das sind die bisweilen etwas holprig arrangierten Übergänge zwischen den einzelnen Szenen der 1945 geschaffenen Suite, die mitunter etwas den Fluß aus dem Stück nehmen und akustisch beweisen, daß es ursprünglich etwas anders gedacht gewesen war. Daß die Walzerfolgen hingegen nicht richtig grooven wollen, dürfen sich der Komponist (der meist schnell wieder ein Break als Knüppel zwischen die Beine der potentiellen Tänzer wirft, die Reminiszenzen an andere Komponisten mit dem Nachnamen des größten Laufvogels der heutigen Erde erkannt haben wollen, genährt noch durch Aussagen des Komponisten selbst, die in eine solche Richtung zu weisen scheinen) und das Orchester (das auch die wenigen ohne Knüppel länger ausgespielten Walzerpassagen eher konzertant als tänzerisch interpretiert) zu gleichen Teilen selber zuschreiben. Dafür entschädigt aber das erneut große Bombastfinale (der headbangende Kontrabassist ist auch wieder da), das zudem den erstaunlichen Beweis antritt, daß sich eine Triangel akustisch durchaus gegen eine Batterie anderweitigen rumorenden Schlagwerkes samt dazu tosendem Orchester behaupten kann. Damit schließt ein Programm, das den Iberern bestimmt gefallen dürfte, das aber auch für den gesetzteren Mitteleuropäer interessante Hörerlebnisse beinhaltet, wie der ordentliche, wenngleich nicht enthusiastische Applaus am Ende unter Beweis stellt.



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