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Girlschool, 9 mm, Odysseus And The Argonauts   16.02.2007   Dresden, Titty Twister
von rls

Lauter und harter Rock'n'Roll war Trumpf an diesem Abend im gemütlich ausgebauten und deckenseitig mit lauter kleinen Fledermäusen behängten Keller eines Fabrikgebäudes am (verrohrten) Prießnitzufer in der sächsischen Landeshauptstadt. Dabei besaß diese Einstufung anfangs noch einen gewissen Unsicherheitsfaktor, denn hinter einem Namen wie Odysseus And The Argonauts hätte man durchaus auch eine verschrobene Proggiekapelle vermuten können. Das Trio, das nach gepflegter Vorabkonservenbeschallung (war es Zufall, daß Saxons "This Town Rocks" auch mit erklang?) ohne große Sperenzien die Bühne betrat und losrockte, zerstreute derartige Unsicherheiten allerdings im Fluge, wenngleich auch die patchworkige Optik noch keine detaillierten Rückschlüsse zuließ. Der Drummer besaß keine spezielle optische Ausrichtung, der Gitarrist könnte sich wahlweise bei Poison Idea oder bei Grateful Dead bewerben, und der singende Bassist würde auch bei Unleashed ans Mikro passen. Diese drei Leute nun erzeugten einen Sound, der sich mit dem von Motörhead nahezu deckte - aber eben nur nahezu, denn man hatte zwei etwas epischere Tracks mit für Genreverhältnisse fast progressiven Status aufweisenden Breaks im Set untergebracht und hobelte ganz zum Schluß auch noch ein Exempel wilden Grindcores herunter, der allerdings im Mittelteil auch auf einen klassischen Rock'n'Roll-Beat herunterschaltete und vom Gitarristen begrunzt bzw. beschrien wurde (welcher sonst für meist relativ cleane Backings sorgte). Besagter Gitarrist offenbarte in den ersten beiden Songs eine fast anarchistisch zu nennende Herangehensweise an die Soloarbeit, was sich ab dem dritten Song (dem ersten der Epics) aber änderte. Der singende Bassist wiederum war heiser - ob er im normalen Gesundheitszustand auch so Lemmy-like klingt, blieb dem Rezensenten also apocryph. Falls er vorher irgendwelche Antierkältungsmedikamente eingenommen haben sollte, müssen diese aber Nebenwirkungen erzeugt haben, was die Verbalartikulation in den Ansagen angeht, die so bemüht bodenständig daherkamen, daß es schon wieder kultig war. Acht Songs nicht für die Ewigkeit, aber durchaus unterhaltsam, und das ist ja auch schon mal was.
9 mm hielten die Umbaupause erfreulich kurz und standen schon auf der Bühne, als "High Voltage" komplett und "Princess Of The Dawn" gerade mal zur Hälfte durchgelaufen war. Das Quartett machte in allen sieben Songs plus Zugabe temposeitig viel Druck nach vorn, "Fegefeuer" im treibenden Midtempo als Geschwindigkeitsuntergrenze begreifend und dadurch nicht ganz monoton wirkend, was bei konsequentem Durchbrettern als Gefahr im Raum gestanden hätte. "Assi Rock'n'Roll" hatten sie ihr Gebräu getauft, und der Frankfurter Raum scheint für solcherart Geräusche durchaus ein empfänglicher Nährboden zu sein, wenn man an die V8 Wankers oder - natürlich - die Böhsen Onkelz denkt. An das Frühwerk der letztgenannten fühlte man sich denn auch bisweilen mal erinnert, allerdings kanalisierten 9 mm ihre Energien ausschließlich musikalisch und verzichteten auf Hooliganbeiwerk. Die deutschen Texte schwankten in ihrer Ausrichtung zwischen "Assi" und "Asi mit Niwoh", wie es Jürgen Zeltinger so schön auszudrücken pflegte - Songtitel wie "Sehnsucht nach Freiheit" hätte man im gegebenen Kontext jedenfalls eher nicht erwartet, auch wenn sich die strukturelle Kompetenz der Kirchenkritik in "Fegefeuer" nicht über 99% der Black Metaller hinaushob. Rein musikalisch erwies sich der Vierer den Herausforderungen jedenfalls durchaus gewachsen, die Werke des Leadgitarristen wirkten nicht wie erzwungene Etüden, und der Sänger trug eine Stimme mit viel Feuerwasser herum und erwies sich zudem als sympathischer Entertainer. Den Setcloser bildete ein anno dunnemals von einer Dame namens Lolita gesungenes und später von Freddy Quinn popularisiertes Seemannslied, zu dem man einen Gastsänger auf der Bühne begrüßen durfte, bevor einzelne Enthusiasten noch eine Zugabe forderten und mit dem programmatischen "Assi Rock'nRoll" belohnt wurden. Wieder nichts für die Ewigkeit, aber wieder durchaus unterhaltsam.
Der 2006er Girlschool-Gig in Dresden war ausgefallen, und dies hier war der Ersatztermin. Die vier Damen (hätte doch beinahe "Mädels" geschrieben ...) legten nach einer ebenfalls recht zügigen Umbaupause mit dem allein vom Titel her perfekten Showopener "C'mon Let's Go" los, der für längere Zeit auch die geschwindigkeitstechnische Obergrenze im Set markieren sollte. Schnell wurde klar, daß die Band auch in der zweiten Viertelcenturie ihrer Existenz nichts anbrennen läßt, wenngleich sie sich songseitig zu einem nicht geringen Teil auf die Exempel aus der Frühzeit der ersten Viertelcenturie konzentrierte. Aber auch eingestreute neue Songs wie "Never Say Never" (vom immer noch aktuellen 2004er Longplayer "Believe") waren keineswegs von schlechten Eltern, fügten sich stilistisch gut in den rauhen NWoBHM-lastigen Rock'n'Roll ein und wurden vom Auditorium nicht weniger beklatscht als alte Gassenhauer der Marke "Screaming Blue Murder". Auffällig war, daß Kim McAuliffe einen guten Teil der Leadvocals an ihre beiden Saitenkolleginnen abgegeben hatte, vor allem an Bassistin Enid Williams, und die machte ihre Sache mit einer etwas wärmeren Stimme richtig gut und sorgte ansonsten mit Leadgitarristin Jackie Chambers für ausgefeilte Backings. Böswilligerweise könnte man bemerken, daß Kims Anwesenheit eigentlich kaum noch nötig war - schließlich hörte man von ihrer Rhythmusgitarre soundseitig überhaupt nichts, was der klar strukturierten Durchhörbarkeit des Gesamtsounds aber eher entgegenkam und dem Klangbild in den Gitarrensoli einen leichten Seventies-Touch verlieh, als eine gewöhnliche Rockband noch mit nur einem Gitarristen arbeitete. Allerdings war Kims Zentralposition für den Optikfaktor dann doch wichtig, denn so hatten Girlschool an vorderster Front ein Objekt für jedwede männliche Haarfarbenkategorievorliebe zu bieten, und für ihr Alter und ihre Verweildauer im bisweilen nicht eben gesundheitsfördernden Rockbusiness hatten sich die Damen erstaunlich gut gehalten (immerhin sind außer Jackie alle heutigen Mitglieder auch schon bei der Bandgründung in den Endsiebzigern von der Partie gewesen). All das indes hülfe nichts, wenn sie musikalisch versagt hätten - aber diese Gefahr hatten sie quasi schon mt dem Opener weggeräumt und gaben sich keinerlei Blößen, weder in der Songauswahl noch in der musikalischen Umsetzung der meist recht geradlinig angelegten Songs, wobei lediglich Freunde der Mittachtziger-bis-Mittneunziger-Periode setlisttechnisch etwas unter den Tisch fielen (soll heißen, es stand auch keines der coolen Sweet-Covers im Set) und derjenige, welcher auf das Erklingen von "Please Don't Touch" vom seinerzeitigen Gemeinschaftsprojekt mit Motörhead spekuliert hatte, ebenfalls unbefriedigt von dannen ziehen mußte. Aber dafür gab's wenigstens "Emergency", das als Closer des regulären Sets die temposeitige Schlagzahl nochmal ein Stück nach oben schraubte und vom Auditorium am frenetischsten mitgebrüllt wurde. Den Zugabenteil eröffneten Girlschool mit dem tiefstmöglichen Griff in die Annalen der Bandgeschichte, nämlich zur allerersten Single "Take It All Away"; zudem hatte Jackie sympathischerweise ein kleines elektronisches Bauteil umhängen, das die permanente rote Laufschrift "Danke Dresden" auf ihren Oberkörper schrieb. Solche Details erzeugen gute Stimmung beim Auditorium, und derer gab es an diesem Abend reichlich, so daß sich zwei weitere Zugabensongs notwendig machten, ehe der (trotzdem noch recht kurze, aber mit 14 Euro Eintritt und fairen Merchandisepreisen wiederum positiv aus dem Rahmen fallende) Gig wieder von der gepflegten Konservenmusik abgelöst wurde.



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