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Hilfe, Hilfe, die Globolinks!   15.12.2006   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Ein etymologisch äußerst schwer herleitbarer Begriff, diese Globolinks - zumal wenn man sich ins Jahr 1968 zurückbegibt, also in das Jahr, in dem diese Kinderoper entstanden ist, denn da war der Terminus "Link", den heute jeder im Internet halbwegs Bewanderter täglich zehnmal ausspricht und hundertmal einen solchen anklickt, noch keineswegs so omnipräsent wie eben heutzutage. Wenn man die englische Sprache heranzieht (was der Rezensent tun muß, da er der eigentlichen Muttersprache des Komponisten Gian Carlo Menotti, nämlich des Italienischen, nicht mächtig ist), könnte man die Globolinks als die "Weltumspinnenden" übersetzen und hätte damit bedeutungstechnisch gar nicht unrecht, denn es handelt sich tatsächlich um invasive Außerirdische mit entsprechend großem Ausbreitungs- und Vermehrungsdrang, und der geht logischerweise auf Kosten der Menschheit, die sich zur Wehr zu setzen versucht, allerdings erstmal ein Mittel gegen die Invasoren finden muß. Und es wird tatsächlich gefunden: Die Globolinks sind durch das Spielen von Musikinstrumenten (paradoxerweise aber nicht durch Gesang!) zu vertreiben.
Aus diesem Stoff bastelt der italienischstämmige Komponist Gian Carlo Menotti (nicht zu verwechseln mit dem in anderen Bevölkerungskreisen sicherlich bekannteren Luis Cesar Menotti, welchselbiger weiland ein sehr erfolgreicher Fußballtrainer war) eine ungefähr einstündige Kinderoper, und diese setzt die Leipziger Musik- und Theaterhochschule am dritten Adventswochenende 2006 viermal auf den Spielplan. Der Große Probesaal ist zumindest zur Premiere ausverkauft, wobei sich das Publikum altersseitig mit einem breiten Spektrum von der ein- bis zur hohen zweistelligen Jahresanzahl präsentiert. "Eine Oper für Kinder und Leute, die Kinder mögen" steht als Untertitel im Programmheft, und nach Ablauf der Stunde konstatiert man, daß Menotti in Tateinheit mit der hiesigen Inszenierungsmannschaft das Kunststück fertiggebracht hat, ein Werk zu fabrizieren, das sowohl Kinder (zumindest ab einem gewissen Mindestalter, welches man freilich vorher noch hätte verbriefen können) als auch Erwachsene gut finden und mit nahezu ununterbrochener Aufmerksamkeit verfolgen können - weder verliert sich der Komponist in scheinbar kindgemäßen Platitüden, noch überfordert er die kleinen Zuschauer durch viertelstündige Arien, in denen mehr oder weniger nichts passiert. Und die Beteiligung von Kindern auf der Bühne sorgt natürlich noch einmal besonders für Aufmerksamkeit - hier sind es deren elf, welche die Zöglinge eines englischen Internats (köstlich in Szene gesetzt mit einem puren Erziehungsideal aus viktorianischer Zeit) spielen, die auf dem Rückweg aus den Osterferien mit ihrem Bus in der Einöde liegenbleiben und prompt von den Globolinks umzingelt werden. Keiner der Schüler hat aber sein Versprechen gehalten, sein Musikinstrument über die Ferien mit nach Hause zu nehmen und dort zu üben, und so sitzen sie in der Falle - einzig die melodische Hupe des Busses (solange die Batterie noch mitspielt) und Emily, die als einzige ihre Geige dabeihat, halten die Globolinks noch fern. Emily versucht sich durch den Wald zum Schulhaus durchzuschlagen, verirrt sich aber und schläft irgendwann erschöpft ein. Unterdessen ist man in der Schule ob des Ausbleibens der Kinder besorgt (nebenbei bemerkt: erst nach achtstündigem Ausbleiben der Kinder!), und so wird die Musiklehrerin Madame Euterpova (ein liebenswerter Hinweis auf die Muse der Flötenspieler, nach dem sich u.a. der Euterpe-Verein in Leipzig benannte, der im 18. Jahrhundert mit der musikalischen Ausbildung etwas breiterer bürgerlicher Gesellschaftsschichten begann, die vom adligen und großbürgerlichen Musikwesen ausgeschlossen waren, aber auch nicht in der Kirchenmusik ihre musikalische Heimat fanden) zur Retterin in der Not, obwohl sie eigentlich gerade frustriert kündigen wollte, eben weil die Kinder ihr Versprechen, in den Ferien auf ihren Instrumenten zu üben, gebrochen haben. Aber auch die Schule ist zwischenzeitlich von den Globolinks angegriffen worden, und der nur bedingt der Musik zugeneigte Direktor Dr. Stone (auch dieser Name ist Programm, denn um ihn emotional mit Musik herauszulocken, bedürfte man schon eines Orpheus - Madame Euterpova macht sich seine Unmusikalität dafür anderweitig zunutze, indem sie ihre Forderungen in höchstem und kräftigstem Sopran darbringt, der nicht nur Gläser, sondern auch Dr. Stones Nervenkostüm zum Zerspringen bringen kann) ist durch die Berührung eines Globolinks selber auf dem Weg, ein solcher zu werden. Die Kollegenschaft, von der immerhin jeder selbst ein Instrument spielt, selbst der eher technisch begabte Hausmeister Timothy, der sich aus Waschmaschinenzubehör eine Art Dudelsack gebastelt hat, wenngleich sich dieser als simple Jagdpfeife herausstellt, versucht die Umwandlung des Direktors (die laut den Informationen immerhin einen kompletten Tag dauern soll) zwar aufzuhalten, scheitert aber daran, und Dr. Stone entkommt in den Wald. Derweil organisieren die Lehrer eine Rettungsexpedition zu den Kindern und können diese im letzten Moment erreichen, denn auch die Hupe hat mittlerweile ihren Dienst aufgegeben, und die Kinder sind den Globolinks schutzlos ausgeliefert. Aus dieser Erfahrung heraus versprechen sie, in Zukunft immer fleißig auf ihren Instrumenten zu üben, und gemeinsam machen sich nun alle auf die Suche nach Emily. Dr. Stone war diesbezüglich aber schneller, hat Emilys Geige entfernt und ist nun dabei, Emily ebenfalls in einen Globolink zu verwandeln zu versuchen, bevor die Lehrer und die Kinder auch in diesem Fall natürlich noch rechtzeitig eintreffen und Emily retten. Mit einem triumphalen Schlußchor endet das Werk und läßt dramaturgisch nur die Lücke offen, daß das Schicksal von Dr. Stone unklar bleibt, denn der war ja erst im Prozeß, ein Globolink zu werden (der Beginn der Verwandlung datiert von ca. 18 Uhr, das Finale spielt in der Nacht, der gesamte Verwandlungsprozeß dauert laut den Rahmenbedingungen aber 24 Stunden). Ob Menotti das schon in seiner Originalversion "vergessen" hat oder in der hiesigen Version eine Straffung stattgefunden hat, muß an dieser Stelle offenbleiben. Zumindest weist die deutsche Textversion gegenüber dem englischen Original ein paar kleine Probleme auf, die schon am Titel offenkundig werden ("Help, Help, the Globolinks!" spricht sich einfach viel flüssiger als das holprige "Hilfe, Hilfe, die Globolinks!") und gerade in einer entscheidenden Szene weitere Nahrung erfahren ("wait!" hat nur eine Silbe, und wenn man die eindrucksvoll und laut auf einem hohen Ton aushält, hat man natürlich einen viel stärkeren Effekt, als wenn man genau diese Passage auf die zwei Silben "wartet!" verteilen muß). Von wem die deutsche Textfassung stammt, gibt das Programmheft (ansonsten sehr anspruchsvoll gestaltet und gar mit einem aufgeklebten Leuchtstab auf der letzten Seite garniert) nicht preis. Die Moral von der Geschichte bleibt allerdings auch etwas zwiespältig und argumentativ unklar - auf der einen Seite ist klar, daß es um die Notwendigkeit der musikalischen Erziehung der Kinder geht, aber die Story fokussiert das auf den Instrumentalunterricht und blendet den Gesang als Waffe gegen die Globolinks aus (gut - andernfalls hätte man ja auch keine Oper draus machen können, sonst hätten die Kinder nur einen ihrer übrigens gut inszenierten und herrlich imperfekt klingenden Chorgesänge anstimmen müssen, um die Globolinks in die Flucht zu schlagen), obwohl die Musiklehrerin gerade die mangelnde Sangesfähigkeit der damaligen wie heutigen Kindergeneration als Argument für mehr Musikunterricht ins Feld führt. Aber solche kleinen ungeradtaktigen Abschnitte sollte man im Gesamtkontext sicher nicht überbewerten, denn der Großteil der Kinderoper hat unbestritten Hand und Fuß. Das trifft übrigens auch auf die Darstellerriege zu, die allesamt ein starkes Niveau nicht unterschreitet, wobei Nadja Mchantaf als Madame Euterpova (eine weitere Erkenntnis, falls man die nicht schon vorher gewonnen hatte: Zu den Waffen einer Frau kann also auch der Gesang gezählt werden ...) und Christoph Simon als Dr. Stone (der mit seiner Gestalt - ein fast noch kindlich-runder Kopf auf einem recht massigen Körper - auch optisch hervorragend zu seiner Rolle paßt und sich in der großen Kündigungsszene dem hohen sängerischen wie darstellerischen Niveau von Madame Euterpova gut anpaßt) nach oben hin herausragen. Die instrumentale Begleitung bleibt sparsam und lenkt so nicht vom Wesentlichen ab, und Dirigent An Hoon Song zeigt, daß er noch mehr Qualitäten besitzt, als an die Kinder während der Proben Schokolade zu verteilen; er leitet wenig auffällig, aber souverän, allerdings auch in recht niedrigem Szenetempo - was im Zeitalter der reinen Aktionsorientierung allerdings auch mal mehr als wohltuend ist, sofern es keine Löcher in den Szenenfluß reißt, was sich hier erfreulicherweise noch im Rahmen gehalten hat. Und noch etwas Erfreuliches: Menotti hatte in seiner Urversion noch mit zahlreichen elektronischen Einsprengseln gearbeitet - das hat die Hochschulmannschaft drastisch reduziert, sampelt praktisch nur noch die Hupe ein (falls die nicht auch noch echt gewesen sein sollte - das habe ich rechts hinten nicht so genau sehen können) und setzt ansonsten aufs Livespiel bzw. in der Darstellung der Globolinks eher auf Lichteffekte und schmatzende Geräusche, was so deutlich bedrohlicher herüberkommt, zumal man bis zum Schlußapplaus keinen Globolink voll beleuchtet zu Gesicht bekommt. Gute Leistung aller Beteiligten also und dazu eine spielplantechnische Entdeckung, der weitere Verbreitung zu wünschen wäre.



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