www.Crossover-agm.de The Wall   18.09.2006   Leipzig, Cineding
von rls

Diese Filmvorführung war eingebettet in ein zehntägiges Festival namens MachtMusik - ein schön mehrdeutiger Titel, der im vorliegenden Bedeutungszusammenhang weniger (aber durchaus auch!) einen appellativen Charakter besaß, sondern mehr auf die politischen Aspekte im musikalischen Schaffen hinzielte. Unpolitische Musik per se geht ja nicht, denn die Politik stellt allermindestens die Rahmenbedingungen her, unter denen dann das musikalische Schaffen erfolgen kann, was man am augenfälligsten daran erkennt, daß die heutige Musikszene sagen wir mal in Afghanistan eine andere ist als in Großbritannien. Inwieweit die Connections zwischen Musik und Politik dann aber intensivere Formen annehmen, hängt von der jeweiligen Situation ab, und so gibt es Künstler, die in ihrem Textgut politische Reflexionen (gleich welcher Richtung) vornehmen, und andere, die dies nicht tun. Die heutige Spaßgesellschaft stellte die Notwendigkeit der politischen Meinungsäußerung im musikalischen Kontext schon mehrfach in Frage und erzeugte damit umso wütendere Angriffe derjenigen, die den grenzenlosen Hedonismus als einen der Hauptverantwortlichen für die Misere der menschlichen Gesellschaft der Jetztzeit identifizieren. Das Spektrum der politischen und auch der unpolitischen Musiker zieht sich quer durch alle möglichen und unmöglichen Stile (jawohl, selbst in den Fantasy-Metal hinein, dem oftmals ein zutiefst kommunistischer Grundgedanke innewohnt, ohne daß sich Musiker und auch Fans dessen bewußt sind), und so lohnt eine diesbezügliche Reflexion eigentlich immer. Dieser Lohnend-Aspekt markiert den Startpunkt für das MachtMusik-Festival, federführend organisiert vom Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig und der Moritzbastei, einem der kultigsten Veranstaltungsorte in der Messestadt. Da die Forum-Pressefraktion den Grundgedanken des Festivals so gut in Worte gefaßt hat, daß ich das auch nicht besser könnte, erlaube ich mir hier ein etwas längeres Zitat:
"MachtMusik ist ein Experiment zur Meinungsbildung: auf der Konzertbühne, im Club, im Kino und in der Fußgängerzone. Politische und politisch motivierte Musik hat mit Überzeugung zu tun und mit der Tatsache, dass Künstler ihr Tun auch an gesellschaftliche Verantwortung begreifen. Doch wo sind heute die politischen Standpunkte der KünstlerInnen? Gelten die links/rechts-Beschreibungen der Vergangenheit noch oder greifen sie wieder nach der großen Party? MachtMusik ist ein Versuch, ein Probelauf mit vielen Facetten, vom Punk über Hardcore-Elektronik bis hin zu Poetry, Hip Hop, Avantgarde-Konzerten und Performances." Danke. www.fzml.de hält auch noch einige weitere Hintergrundinfos bereit, u.a. auch den kompletten Spielplan, den ich hier auch noch zu zitieren mir und dem geneigten Leser erspare. Daß das Spektrum der vertretenen politischen Aussagen nicht bis nach rechtsaußen reichte, konnte man sich vorher an seinen noch vorhandenen Fingern abzählen; Störkraft fand man im Billing also beruhigenderweise (Meinungsbildung hin oder her) nicht.
Der Rezensent wollte eigentlich zwei der gebotenen Veranstaltungen besuchen, mußte sein Erscheinen beim Gig von Dritte Wahl, den Skeptikern und Zaunpfahl aber leider kurzfristig canceln (Augenzeugen berichten von einer vollen Location und einer ausgelassenen Stimmung beim zumeist recht jungen Publikum, das sich auch nicht daran störte, daß man die politischen Messages der Skeptiker aus tontechnischen Problemgründen kaum verstehen konnte). So blieb ihm die andere Veranstaltung, die von der Besucherzahl her allerdings den totalen Kontrapunkt darstellte, denn die zweite Vorstellung des Pink Floyd-Films "The Wall" um 20.15 Uhr fand im Auditorium lediglich eine Kopfzahl von sieben Personen inclusive des Rezensenten (wie die um 18.00 Uhr und die um 22.30 Uhr besucht waren, entzieht sich meiner Kenntnis, aber beim Gehen standen zumindest die ersten Besucher der Spätvorstellung schon vor der Pforte). Nun ist der Film zwar mittlerweile ein Vierteljahrhundert alt und schon hundertfach im Kino gelaufen, es gibt ihn auch auf den verschiedensten Speichermedien, so daß dies vielleicht ein Grund für den einen oder anderen Menschen war, ihn sich nicht noch ein weiteres Mal anzusehen. Nichtsdestotrotz hat er keineswegs etwas von seiner Relevanz verloren, wie der Einführungsvortrag deutlich machte, von dem der verspätete Rezensent nur noch den Schlußteil mitbekam. Dem eigentlichen Film vorgeschaltet war allerdings noch ein filmisches Beispiel für die rezente (2004) Nutzung des Konzeptes und der Musik von Pink Floyds "The Wall", hier in einem Kontext des Widerstreits zwischen der lettischen und der russischen Kultur. Der Sound war hier allerdings noch etwas zu leise und auch am Anfang des Films noch, bis der Pegel noch etwas nach oben korrigiert wurde und einem gelungenen wie anregenden Filmabend nichts mehr im Wege stand.
Einen Film zu rezensieren, der schon ein Vierteljahrhundert alt ist und auf einem noch geringfügig älteren Plattenkonzept beruht, ist natürlich irgendwie schon wie das sprichwörtliche Exportieren von Bier nach Bayern. Aber ein paar Worte müssen schon noch sein. Kurz zusammengefaßt geht es um den Musiker Pink, gespielt von Bob Geldof (der übrigens, als man ihm das Projekt antrug, anfangs gar nicht begeistert gewesen sein soll), und um die Reflexionen seines bisherigen Daseins, beginnend mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als sein Vater in einer wenig sinnvollen Kommandoaktion ums Leben kommt, über den schwierigen Prozeß des Aufwachsens als Halbwaise in einer überstreng organisierten Gesellschaft, die Versuche der Befreiung mittels verschiedenster Substanzen von mehr oder weniger legaler Gestalt (das Blut spielt hier nur eine symbolische, aber keineswegs eine unwichtige Rolle) und die politische Indoktrination als charismatischer Führer einer überstraff rechtsorientierten und organisierten Bewegung bis hin zum finalen Versuch, die um die Hauptfigur herum aufgebaute Isolationsmauer zu durchbrechen. Dabei läßt Regisseur Alan Parker das gesprochene Wort nahezu außen vor, lediglich vereinzelte Dialogpassagen stützen den bisweilen recht verworrenen Handlungsvorgang, wobei allerdings der eine oder andere Faden im Verlaufe der reichlich anderthalb Stunden noch per Anknüpfungspunkt an einen der anderen gespannten Fäden führt. Jedwede Anspielung versteht man vermutlich sowieso nicht, selbst wenn man Handlung und Album in- und auswendig zu kennen vermeint, denn im zwischenzeitlich vergangenen Vierteljahrhundert hat sich eine mannigfache Rezeptionsgeschichte von Einzelelementen ergeben. Daß das Symbol der Recht-und-Ordnung-Partei mit den zwei gekreuzten Hämmern (das Bild des Hammers hatten Pink Floyd ja schon im Video zu "Another Brick In The Wall Part 2" eingeführt) von Timo Rautiainen und seinem Trio Niskalaukaus unter Erweiterung der Werkzeugpalette persifliert wurde, dürfte zwar noch keinen politischen Hintergrund gehabt haben, aber woher eine Band wie Laibach die Idee zu ihrer künstlerischen Ausgestaltung von Recht und Ordnung gehabt haben könnte, sollte nach dem Film recht deutlich geworden sein. Letztlich bleibt das Bild der Erlösung zwiespältig, denn die Mortalität kommt ebenfalls nicht zu kurz (daß die Bad-Verjüngungsszene in Tateinheit mit der zur Sammlung der Trickszenen gehörenden Blumenkopulation nicht für einen größeren Rundumschlag seitens der FSK-Kommission gesorgt hat, verwundert dann doch etwas), wohingegen die Tricktechnik beim Kurz-vor-Schluß-Einsturz der Mauer ein wenig versagt zu haben scheint, denn der Baustil der Mauer deutet doch auf klar anderes Material hin als dasjenige, was dann als Einzelteile durch die Luft fliegt. Aber das sind im Gesamtbild des Films allenfalls Peanuts. Seine Wirkungen können ganz verschiedene sein, einerseits die Desillusionierung darüber, wie weit es mit der kalten Welt schon gekommen ist, andererseits aber auch die Aufrüttelung, daß das eigentlich noch nicht alles gewesen sein kann und Herr Pink zwar als typisch für eine ganze Generation von Menschen gelten kann, aber der Durch- bzw. Ausbruch aus dem individuellen Mauerring trotzdem kein Ding der Unmöglichkeit ist - in welche Richtung er erfolgt, bleibt der Interpretation des Hörers des Albums bzw. des Sehers des Films überlassen. Surrealismus als Versuch zur politischen Aufrüttelung und Meinungsbildung - ein auch ein Vierteljahrhundert nach Entstehung des Films noch tragfähiges Konzept, wenngleich der filmische Fortschritt in der Zwischenzeit auch für einen Eigentlich-Nicht-Cineasten wie den Rezensenten durchaus rekognoszierbar bleibt. Aber von einer Siebziger-Pink Floyd-Platte verlangt auch niemand, daß sie in puncto Soundbibliothek auf dem Stand des neuen Jahrtausends ist. Zeitlose Kunst, bisweilen aufrüttelnd, in jedem Fall aber zum Nachdenken anregend, und das keineswegs nur in politischer Hinsicht.



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