www.Crossover-agm.de Amarcord   18.08.2006   Leipzig, Hochschule für Musik und Theater
von rls

Eine sommerliche Serenade sollte es werden, aber den Tag über sah das Wetter nicht so vertrauenerweckend aus - trotzdem entschied sich die Konzertplanungskommission, an der Open Air-Variante im Innenhof der Hochschule festzuhalten und nicht in den Großen Saal umzuziehen, und sie wurde belohnt: Die Niederschlagsquote des Abends blieb bei Null, die Temperatur fiel nicht so stark ab, daß man everesttaugliche Sturmanzüge zum Warmbleiben gebraucht hätte, und wäre nicht ab und zu ein etwas stärkerer Windstoß durch den Innenhof gefahren, man hätte durchaus die herbstliche Witterung vergessen und sich einbilden können, daß man sich, wie das Kalenderdatum ja assoziiert, tatsächlich im Sommer befindet. So legte die Dunkelheit einen Schleier über die Hochschule, der Innenhof füllte sich allmählich bis kurz vorm Bersten, einige kleine Fackeln wurden entzündet, und der Boden für Amarcord war bereitet. Daß die Leipziger Truppe zu den besten A-Cappella-Formationen zählt, die in Deutschland so über die Bühnen geistern, weiß der kundige Hörer bereits seit einem Jahrzehnt, und das Konzert dieses Abends tat nichts, was geeignet wäre, diesem Urteil etwa zu widersprechen. Aber ein Novum gab's dann doch, und das hörte auf den Namen Martin Lattke. Der Bruder von Amarcord-Urgestein Wolfram Lattke schraubt die Anzahl der Tenöre im Ensemble auf drei nach oben und erhöht die Gesamtmitgliederzahl damit wieder auf sechs, wie das zu Gründungszeiten schon einmal der Fall war, bevor die Truppe fast eine Dekade lang nur noch als Quintett agierte. Daß sich Martin nahtlos ins Ensemble einfügen würde, war keine Überraschung (und wurde auch im "Anatomic Spiritual" aka "Dry Bones" mit dem gespielten Bestehen der Aufnahmeuntersuchung verdeutlicht), schließlich ist auch er kein Greenhorn mehr und agierte jahrelang bei den Leipziger Nachbarn Calmus, bevor ihn die "preußischen Landwerber", wie es Matthias Herr im ersten Band seines "Heavy Metal Lexikons" so schön bei den Schilderungen der Personalpolitik der frühen Metallica ausdrückte, zu Amarcord holten. Inwieweit die Erweitung tatsächlich nötig war, muß die Zukunft zeigen, denn an diesem Abend war es so, daß die eher schlicht gestalteten, teilweise "nur" vierstimmigen Sätze (beispielsweise das wunderbare Gebet "Esti dal" aus der Feder des Ungarn Zoltán Kodály) höher punkten konnten als die zweifelsohne auch guten, an manchen Stellen aber an der transparenten Durchhörbarkeit gebrechenden komplexeren Arrangements, wiewohl es auch unter diesen einige Geniestreiche zu verzeichnen gab, etwa das die erste Hälfte des Sets abschließende "Chi chi li chi" von Andrea Gabrieli, in dem sich die versuchte Dreisamkeit für einen Mann als Fiasko herausstellt, da anstelle von Harmonie zwischen den beiden Frauen ein wildes Gezänk entbrennt. Bekanntlich können Amarcord von der Gregorianik bis zu den Beatles alles singen, was irgendwie singbar erscheint, und entsprechend breit war auch das Spektrum der Setlist dieses Konzertes, wobei die notwendigen Brüche keinesfalls störend wirkten, sondern die hochklassige Gesangsleistung aller sechs Mitglieder eine genügend tragfähige Brücke zwischen deutschen Volksliedern und den Beatles darstellte und dem Hörer zudem noch Zeit blieb, um sich mal den aus heutiger Sichtweise völlig unlogischen Text eines Liedes wie etwa "Ein Jäger längs dem Weiher ging" vor Augen zu führen (ein heutiger Jäger rennt keineswegs furchtsam nach Hause, wenn er im Wald einem Hasen begegnet, sondern brennt ihm eins über den Pelz, sofern gerade Jagdzeit sein sollte). Highlight des Sets sollte indes das Spiritual "The Rose" von Amanda McBroom werden, zu dem der Rezensent allerdings auch eine besondere Beziehung hat, da er die deutsche Version des Liedes im Freundeskreis bei Hochzeiten mit "Projektchören" selber ab und an mal singt, wenngleich natürlich lange nicht so gut. Die Ensemblemitglieder teilten sich in die Moderation hinein, vergaßen auch gelegentliche humorige Einwürfe nicht (wenn ein Komponist wie Mendelssohn für die Solostimme eines Liedes die Anweisung "betrunken zu singen" gibt, muß man dem im Gestus natürlich Folge leisten ...) und hatten sich die lautstarken Zugabeforderungen redlich verdient. Sie beschlossen den Gig mit "Die Blümelein, sie schlafen" in einer Version, die jedem Mitglied eine halbe Strophe lang die Leadmelodie übertrug, was eine günstige Gelegenheit bot, um die Solistentauglichkeit miteinander zu vergleichen, und entließen das Publikum damit in die immer noch recht angenehme Nacht.

Setlist:
Franz Schubert: Zum Rundetanz D 983,3 + Mondenschein D 875
Carl Steinacker: An den Mond
Robert Schumann: Frühlingsglocken
Felix Mendelssohn Bartholdy: Liebe und Wein
Anonymus: Der Wein Gesang
Claude Le Jeune: Un gentil amoureux
Philippe de Monte: Bon jour mon cœur
John Dowland: Come away, come, sweet love
Ludwig Senfl: Das Geläut zu Speyer
Andrea Gabrieli: Chi chi li chi
  Pause
Deutsches Volkslied: Es klappert die Mühle
Anatomic Spiritual: Dry Bones
Paul McCartney: Blackbird
Zoltán Kodály: Esti dal
Deutsches Volkslied: Ein Jäger längs dem Weiher ging
Burl Ives: The Little White Duck
Amanda McBroom: The Rose
Kurt Weill: Moritat von Mackie Messer
Young/Heyman: When I Fall In Love
American Folk Song: Nine-hundred Miles
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K. Alzheimer: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
Deutsches Volkslied: Die Blümelein, sie schlafen



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