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Ist es Liebe? Popularmusik und Kirche. Das Verhältnis von Wort und Ton. Drittes interdisziplinäres Forum   01.-03.03.2005   Hildesheim, Michaeliskloster
von ta und ks

Mancher Anfang ist einfach. Es gibt Popmusik. Es gibt Kirchen. Es gibt Worte und Töne. Kein Grund zum Streiten. Der kluge Beobachter aber registriert weiterführend: Es gibt auch Zonen, in denen sich Populärmusik und Kirche oder Wort und Ton begegnen. Kompliziert, kompliziert. Der Wissenschaftler will hinzu wissen: Lieben sich die beiden denn auch, wenn sie sich schon mal begegnen, oder nicht? Und der Kirchenmusiker fragt, wie man es denn macht, dass beide sich wirklich lieben. Das birgt Diskussionsstoff, hier muss eine Tagung her. Drei Tage, bis zum dritten Dritten, dieses Jahr zum dritten Mal.
Hildesheim liegt bei Hannover und in Schnee und Eis, doch für ein paar Dutzend Diskutanten und Referenten bietet das zur Herberge umfunktionierte Michaeliskloster eine warme Unterkunft zu Tag und Nacht. Angenehme Rahmenbedingungen tragen schließlich auch ihren Teil zum Gelingen einer solchen Veranstaltung bei. Und diese hier sind mehr als angenehm. Urlaubsstimmung kommt auf ... aber man ist ja nicht (nur) zum Vergnügen hier.
Im Auditorium des großen Gebäudes versammelt sich die ganze Schar tagsüber. Referate, Diskussionen und Workshops sind die Formen, in denen das inhaltliche Konglomerat aus Popkultur und Kirche seine Darstellung und Bearbeitung findet, die geistlichen Inseln bieten kleine Andachten zu Beginn und Ende des Tages an, abgerundet wird das Ganze von einem Konzert (Katja wird weiter unten darüber berichten). Aber vorerst zum akademischen Teil.
Kulturwissenschaftler, Musikwissenschaftler, Theologen, sonstige Professoren, Pastoren, Kantoren beschäftigen sich mit Dieter Bohlen und B-Tight - kann das funktionieren? Na und ob! Hildesheim 2005 bietet popkulturelle Überlegungen, kirchenmusikalische Erwägungen, ästhetische Urteile über popularmusikalische Ergüsse, Strukturanalysen christlichen Pop-Rocks, Perspektiven christlicher Popularmusik, praktische Anweisungen zur Verschmelzung von Gemeinde- und Popkultur usf. Musik kann ja nicht nur gemacht werden, über Musik lässt sich auch reden. Abba sind schön, aber wie kommt es eigentlich, dass ein Abba-Song funktioniert, wie wird er produziert, was bedeutet das für die Struktur der Popindustrie? Wie geht Xavier Naidoo eigentlich mit dem Wort (nicht nur dem heiligen) um und was transportiert er? Christliche Musik ist Musik mit einem christlichen Text dazu - ist doch einfach -, aber was passiert denn genau, wenn in christlichen Songs des 20. Jh. Musik und Botschaft aufeinandertreffen? Wie sieht dieses Zusammentreffen an konkreten Beispielen aus und was für Schlüsse lassen sich daraus ziehen (ästhetischer oder handlungspraktischer Art)? Im Gospel wird der Herr gefeiert, aber warum finde ich mich in "May The Lord Send Angels" so schnell in den Lobpreis hinein, wie findet der Text hier seine musikalische Entsprechung?
Musik-Hören hat ein Hin und ein Her, ein Senden und Empfangen. Beide Bereiche (Was geht hin (Komposition, Wort-Ton-Verhältnis)? Was geht her (Rezeption, Identifikation)?) fanden ihre Berücksichtigung und sorgten für eine überraschende Bandbreite der Themen und gleichzeitig für ein ausgewogenes Beieinander der Denkrichtungen.
Die theoretische Beschäftigung mit populär- und kirchenmusikalischen Phänomenen sollte auch ihre Fortentwicklung in der Praxis finden. Produktive Diskussionen sorgten für die Weiterführung der referierten Themen in den konkreten kirchenmusikalischen Bereich (zunächst natürlich verbal), die Workshops dienten der konkreten Präsentation einzelner Konzepte der Kombination von Kirche und Popularmusik - von Metal über HipHop bis zum Soul war dann auch alles irgendwie vertreten. (Aus dem Rahmen fiel nur ein Trommler aus Berlin - Betonung auf die erste Silbe! - mit seinem ganz ungeistlichen Angebot des Body- und Vokal-Percussion-Spiels, aber Uli Moritz ließ man nur zu gerne aus dem Rahmen fallen, und das erfreulicher- und unterhaltenderweise.)
Die Beiträge der Referenten decken das Feld von trockener, nüchterner Analyse bis zu lockerem und unterhaltendem Vortrag spielerisch ab. Da wird zu Die Ärzte authentisch mitgewippt oder ans Klavier getreten und ein Gospel gesungen, ein schräg-schiefes Trällern vor dem versammelten Auditorium mit schmierigen Computertricks in schmusiges Herzerweichen verwandelt, auch die Anzahl der Pointen erreicht schwindelerregende Höhen - wer hat hier was von "langweiliger Theoretisierung" gesagt? Die beachtliche Anzahl der Gesanglich-Versierten (Kirchenmusiker nämlich) sorgt für genug Stimmgewalt in den Mitsing-Teilen bei Referat oder Andacht und lässt endgültig den Eindruck verschwinden, hier ginge es nur um den wissenschaftlichen Plausch. Nein, hier wurde ein Weg gesucht, wie Popularmusik und Kirche nicht einfach nur neben- oder miteinander auskommen können, sondern sich auch gut ineinanderfügen. Dafür musste Popularmusik angeschaut, eben auch mal gesungen werden, Fokus des Anschauens war diesmal das Wort-Ton-Verhältnis, beim nächsten Mal wird es ein anderer sein. Dieser war interessant, erkenntnisbringend und anregend. Und die Ergebnisse?
- Es gibt Kunst und es gibt Unterhaltung - oder nicht?
- Auch Unterhaltung kann kunstvoll sein - nicht wahr?
- Popularmusik bedeutet Identifikationsangebot, Kirche auch - gibt's da noch Unterschiede?
- Klischees sind wichtig, Innovation aber auch.
- Spirit ist nicht aufs Gesangbuch festgelegt.
- Wo Pop draufsteht, ist vielleicht mehr Spirit drin als gedacht.
- Worte tönen und Töne sprechen - was kann da schon schiefgehen?
- ... vielleicht sagen beide was anderes ...
Eine gelungene Veranstaltung. Dank, Lob und Preis an die verschiedenen Verantwortlichen. Und gleich weiter zum Konzertbericht (bis hierher: ta):

Soul4C, Uli Moritz, Sarah Kaiser Group   02.03.2005   Hildesheim, St. Michael

Kunstfreunde kennen und schätzen die romanische Kirche in Hildesheim und die Bewohner dieser kleinen Stadt erfreuen sich gewiss an musikalischen Veranstaltungen verschiedenster Art, welche in den Gemäuern von Zeit zu Zeit statt finden. Was jedoch Anfang März, im Rahmen des Seminars "Popularmusik und Kirche. Das Verhältnis von Wort und Ton" veranstaltet wurde, war gewiss neu. Eine Mischung aus Soul, Pop, Jazz und Perkussion - dargebracht von Soul4C, der Sarah Kaiser Group und Uli Moritz - durchströmte die heilige Halle und begeisterte die Zuhörer.
Soul4C machten den Anfang und stellten die Lieder ihrer EP "Unsere Musik" als auch weiteres Material vor. Was gut begann, endete mit gemischten Gefühlen. Ein Keyboard und zwei schüchtern erscheinende Jungs, die fast schon stocksteif ihre Lieder über Glaube, Liebe, Hoffnung zum besten gaben. Und so versagte bei dem einen schon mal die Stimme, während der andere zu viel aus seinem Leben plauderte. Die Musik ist mehr als deutlich an Xavier Naidoo und seinen Mannen orientiert, die Message deutlich und lobenswert, aber an der Live-Performance scheiterte das ganze Unterfangen. Das noch unterkühlte Publikum konnte sich nicht vollends für sie erwärmen, was gewiss auch an der Tatsache lag, dass sie als Erste auftraten und die Akustik in der Kirche nicht optimal abgestimmt war.
Der Perkussionist Uli Moritz hatte hingegen keine Schwierigkeiten, das Publikum zu begeistern. Seine Darbietung besteht aus dem Vortrag skurriler Texte unter Verwendung ungewöhnlicher Perkussion-Instrumente wie der Hang, einem schweizer Instrument, einem ausgebeulten Wok ähnlich, welches leichte, asiatisch anmutende Töne erzeugt. Holzkisten bekommen durch sein Spiel neue Bedeutung, Meeresrauschen erklingt in der Kirche und - wahrscheinlich das Lieblingsinstrument aller - ein Plaste-Rohr aus dem Baumarkt (abgesägt und gestimmt auf das hohe A) begleitet die wundervollen Worte: "Ich stampf den Boden, ich stampf den Beat. Ich hab den Beat und den Boden lieb." Zum Schluss stampfte und klatschte die Menge, sprach im Off-Beat und Bewunderung lag im Raum für diesen Mann, dem man sein Talent, andere zu begeistern und mitzureißen, nicht ansieht.
Warm geworden, konnte sich das Publikum nun auf die Mischung aus Jazz, Soul, Gospel und Pop, die Sarah Kaiser mit ihrer Band darbot, einlassen. Stimmlich perfekt ausgebildet und mit überaus talentierten Musikern an ihrer Seite, präsentierte die Sängerin Eigenkompositionen und alte Paul-Gerhardt-Choräle - musikalisch neu erschlossen, mit Grooves unterlegt voll Leidenschaft und Präzision. Das finale Zusammenspiel der Band mit Uli Moritz und das gemeinsame Singen mit dem Publikum beendete den vielseitigen Abend und hinterließ strahlende Hildesheimer und Seminarteilnehmer, die ihr Thema nun unter völlig neuen Gesichtspunkten sahen. (ks)



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