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Diplomkonzert   28.01.2005   Borna, Stadtkulturhaus
von rls

Kein Motto diesmal. Aber für ein Diplomkonzert im Orchesterdirigieren braucht man eigentlich auch keins - ein starkes Programm reicht. Und ein solches hat Young-Eon Kim zweifellos aufgestellt, wenngleich eines ohne größere Überraschungen. Für solche sorgen dafür das Winterwetter samt der daraus resultierenden Straßenverhältnisse draußen - der Saal des Stadtkulturhauses ist somit nur zur Hälfte gefüllt, wobei die Heimatfraktion des 1969 in Südkorea geborenen und in Seoul bereits ein Kompositionsstudium hinter sich habenden Dirigenten einen beachtlichen Anteil stellt.
Ein eigenes Werk aufs Programm zu hieven traut sich der Dirigent nicht (ich weiß allerdings auch nicht, ob er überhaupt Orchesterwerke schreibt). Statt dessen fällt beim Betreten des Saales erstmal der riesige schwarze Flügel auf, der die linke Hälfte der nicht eben großen Bühne im vorderen Teil komplett ausfüllt, was noch Folgen haben wird. Zunächst bleibt es bei derjenigen, daß man, wenn man nicht gerade rechts außen sitzt, eine Hälfte des Orchesters nahezu gar nicht zu Gesicht bekommt. Das macht bei Webers "Oberon"-Ouvertüre erstmal nichts, denn hier zaubert der ökonomisch und ohne größere Überraschungen, aber dennoch nicht distanziert oder gar steif arbeitende kleine Dirigent durchaus Amtliches hervor, lotet die Laut-Leise-Dynamics nicht bis zum Anschlag, aber doch für die Verhältnisse des in vergleichsweise kleiner Besetzung agierenden Westsächsischen Symphonieorchesters in nachvollziehbarer und nicht angestrengt wirkender Weise aus (das genügt für den nicht allzu großen Saal auch vollkommen - viel mehr im Fortissimo würde dort vermutlich erdrückend wirken) und macht also schlicht und einfach gute Musik. Ein guter Einstand, der mit Chopins Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 f-Moll leider nicht fortgesetzt werden kann - und das liegt nur teilweise am Dirigenten, sondern ist auch strukturell bedingt. Der Flügel wird aufgeklappt, Constanze Ziemann nimmt an ihm Platz und spielt brillant ihre flirrenden Soloparts - aber die letzte Harmonie mit dem Orchester will sich nicht einstellen, beide musizieren irgendwie aneinander vorbei. Ich beobachte die Pianistin im ersten Satz eine Zeitlang genau - in dieser Zeit kann ich keinen einzigen Blickkontakt mit dem Dirigenten erkennen, wobei noch die Frage besteht, ob der hinter dem Flügel hervor überhaupt möglich gewesen wäre (man erinnere sich - auch der Dirigent ist nicht sehr groß, und der Platz ist begrenzt). Daß sich auf meiner Seite zuviel Klavier im Gesamtsound befinden könnte, war von vornherein klar (da der Flügel nun mal auf der gleichen Seite steht) - aber es ist in der Gesamtbetrachtung deutlich zuviel, obwohl ich in der dritten Reihe von hinten sitze, also in gehöriger Entfernung vom Instrument. Daran hat auch der aufgeklappte und weit nach oben ragende Deckel des Instruments seinen Anteil, der dazu führt, daß man die linke Hälfte des Orchesters gar nicht mehr sieht und die musikalische "Untervegetation", also die leiseren Instrumente (danke an Herbert Blomstedt für den niedlichen Begriff), akustisch noch stärker untergebuttert wird, sobald die Pianistin lauter als mezzoforte spielt (und das läßt Chopin sie nicht selten tun). Die blitzartigen Flöteneinwürfe etwa (die Flötenfraktion sitzt auch hinter dem Deckel) kann man nur erahnen - und das ist schade, denn für sich betrachtet leisten sowohl das Orchester als auch die Pianistin gute Arbeit, die aber nicht zu einem homogenen Gesamtbild gerät. Das Publikum sieht das offenbar anders, und man fordert sogar eine Zugabe von Constanze Ziemann ein, bei der sie erneut beweisen kann, daß sie klasse spielt - diesmal aber von vornherein solo.
Nach der Pause ist der Flügel weg, das Publikum findet sich wieder ein, das Orchester stimmt - wer aber nicht kommt, ist der Dirigent. In der Reihe hinter mir wird gewitzelt, man habe ihn vermutlich irgendwo versehentlich eingeschlossen (wir rekapitulieren - er ist nicht so sehr groß). Irgendwann ist er dann doch da, läßt sich eventuelle Nervosität zumindest nicht allzu deutlich anmerken - und legt eine starke Leistung mit Beethovens Symphonie Nr. 7 A-Dur hin. Die gehört nicht zu den ganz progressiven Exempeln des Komponisten, wenn man dessen plötzliche Liebe zur Idylle (phasenweise ist die Stimmung mit der ein halbes Jahrhundert später entstandenen Zweiten von Brahms vergleichbar) und die Entdeckung der Kraft von Themen, die im Prinzip nur aus Tonleiter-Auf-und-Ab mit gelegentlichen Tonrepetitionen bestehen, nicht als solchen betrachten möchte. Für beide Elemente ist bereits der erste Satz "Poco sostenuto - Vivace" ein schönes Exempel, und der Dirigent holt aus dem Orchester auch tatsächlich solche Stimmungen heraus. Da kann man durchaus drüber hinwegsehen, daß nicht jedes der Breaks im Vivace-Teil ganz mikrometergenau sitzt - spätestens die wunderbare Arbeit der tiefen Streicher am Beginn des Allegretto versöhnt wieder. Und allerspätestens im dritten Satz, dem titelgemäß höhere Tempi auffahrenden "Presto", bemerkt der Hörer erstaunt oder auch bestätigt, daß der Gesamtklang des Orchesters, seit der Flügel weg ist, eine deutliche Verbesserung in Richtung einer Rundung erfahren hat (physikalische Gesetze des Schalls und seiner Ausbreitung gelten eben auch im klassischen Konzert) und selbst die Blechbläser, was in bombastischen Passagen (von denen es sowohl im "Presto" als auch im abschließenden "Allegro con brio" etliche gibt) ja stets eine veritable Gefahr darstellt, nicht alles niedertröten, was ihnen im Wege steht. Es macht Spaß, dieser Siebenten von Beethoven zuzuhören (wiewohl ich zugeben muß, keine Referenzaufnahme zum Vergleich im CD-Regal stehen zu haben), und das sieht auch das Publikum so, das den in der nonverbalen Auditoriumskommunikation von der Bühne herunter fast noch etwas zu schüchtern wirkenden Dirigenten mit etlichen Vorhängen belohnt.



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