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B.T.R., Quinteto Tango Nuevo   08.10.2004   Leipzig, Tangofabrik
von rls

"Russischer Tango ist was Feines", mailte mir eine Freundin und gab damit den Ausschlag, daß ich, nachdem eine andere für diesen Abend vorgesehene Veranstaltung unter meiner potentiellen Anwesenheit einige Tage vorher abgesagt worden war, mich entschied, diesen Gig zu besuchen. Beide verbrieften Anstoßzeiten (21 und 22 Uhr) stellten sich letztlich als falsch heraus, und meine Ankunftszeit um 21.30 Uhr markierte gleichzeitig den Anpfiff, obwohl die Kopfzahl des Publikums zu diesem Zeitpunkt noch relativ gering war, sich aber im Verlaufe des Abends noch etwas steigern sollte.
Bei einem Ensemble mit dem Namen Quinteto Tango Nuevo sollte man nicht lange überlegen müssen, um die Theorie aufzustellen, daß das Werk von Astor Piazzolla (welchselbiger bekanntlich den unter dem Begriff Tango Nuevo bekanntgewordenen Tango-Substil kreiert und popularisiert hatte) im Set nicht durch Abwesenheit glänzen würde, und so war es denn auch - das Quintett stieg gleich mit "Milonga del Angel" ein und gab später u.a. noch Material aus Piazzollas "Vier Jahreszeiten"-Suite zum besten. Das Line-up entsprach der klassischen Piazzolla-Besetzung, also Bandoneon bzw. Bajan, Gitarre, Violine, Kontrabaß und Klavier, wobei der alte Schlager "Kuck doch nicht immer nach dem Tangogeiger hin" keine große Relevanz aufwies, da der Geiger erstens keiner der Marke Traumliebhaber war und zweitens nicht etwa an vorderster Front agierte, sondern in der zweiten Reihe stand. Warum die Pianistin mit dem Rücken zum Publikum spielte und zudem ein Kleid trug, das sie von hinten wie eine typische 60er Jahre-Hausfrau mit geblümter Dederonschürze aussehen ließ, bleibt ihr Geheimnis - bei zwei Songs entpuppte sie sich allerdings auch als fähige Sängerin. Trotzdem blieb es dem Kontrabassisten vorbehalten, für die größen akustischen Wohlfühlerlebnisse des Sets zu sorgen, nämlich im wunderbaren ersten Teil von "Contrabajismo". Obwohl Piazzollas Tango Nuevo eigentlich eher für den konzertanten Vortrag als zum Tanzen gedacht ist (was in etlichen Breaks und Rhythmuswechseln zum Ausdruck kommt, die einen beim Tanzen vor akute Probleme stellen), fanden sich dennoch vereinzelte Pärchen, die eine Sohle aufs Parkett legten.
B.T.R., die hernach die Bühne betraten, entpuppten sich als eine Art comedy-angehauchte Projektband mit internationaler Besetzung. Der Vierer bestand aus einer polnischen Sängerin (die allerdings nur bei einem Teil der Songs ins Geschehen eingriff), einem Bajanisten aus St. Petersburg, einem deutschen Cellisten/Co-Sänger und einem Weißrussen, der eine Balalaika monströsen Ausmaßes spielte. Diese äußerst skurrile Kombination erzeugte das akustische Problem, daß sich das Cello und die Balalaika in ihren Klangspektren etwas zu sehr im Wege standen. Aber auch für dieses Problem gab es eine Lösung: Oft spielten nur Bandoneon und Balalaika allein, der Cellist tat unterdessen etwas anderes, rezitierte also beispielsweise eine Geschichte oder tanzte in Zeitlupe quer über die zur Verfügung stehende Fläche, anstelle einer Frau sein Cello als Tanzpartnerin gebrauchend. All das geschah mit einem trockenen Humor, der auf den ersten Blick gar nicht zur bisweilen etwas spröden Musik oder den melancholischen Themen der Gesangsnummern zu passen schien - aber irgendwie war das auch egal. Die Stimmung im Publikum war gut, und auch während dieses Sets verlustierten sich einige Pärchen tanzenderweise.
Aber damit war der Gig noch nicht zu Ende: Die Mitglieder beider Formationen versammelten sich zu einer BigBand auf der Bühne und intonierten noch einige weitere Nummern, damit den Konzert- nahtlos in einen Tanzabend überführend: Die Anzahl der tanzenden Pärchen wuchs immer weiter, so daß letztlich mitten im noch konzertanten Geschehen die Konzertbestuhlung (auf der eh kaum noch jemand saß) entfernt wurde, um Platz zu gewinnen. Das Tanzvergnügen wurde anschließend mit Konservenmusik fortgesetzt, während sich der dieser Bewegungsform nicht zwingend zugeneigte und zudem allein anwesende Rezensent aufmachte, um sein Schlafdefizit ansatzweise abzubauen zu versuchen.



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