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Oberon   30.05.2004   Dresden, Kongreßzentrum
von rls

Bevor erst irgendein investigativer Oberschlauer auf die Idee kommt, mir daraus einen Strick drehen zu wollen: Ich verdiene meine Brötchen und sonstigen zum Leben notwendigen Utensilien in der Firma, welche für die CD-Releases des MDR Sinfonieorchesters und des MDR Rundfunkchores (beide waren an diesem Abend bühnenaktiv) verantwortlich zeichnet; mit den Liveauftritten der Ensembles hat die Firma (und damit auch ich) strukturell jedoch nichts zu tun. Sollte ein Leser trotzdem eine diesbezügliche Beeinträchtigung meiner journalistischen Kritikfähigkeit argwöhnen, steht es ihm frei, an dieser Stelle mit dem Lesen des Reviews aufzuhören und sich einem anderen zuzuwenden. Ihm entgeht dann allerdings ein Bericht über einen subjektiv wie objektiv unterhaltsamen Konzertabend.
Die Vorbereitung des Konzertes war von Änderungen gekennzeichnet: Erst übernahm Lothar Zagrosek das Dirigentenpult von dem ursprünglich geplanten Fabio Luisi, dann entschloß sich eine Woche vor dem Konzert das Organisationskomitee der Dresdner Musikfestspiele, in deren Rahmen dieses Konzert eingebunden war, angesichts der unangenehmen Wetterlage zu einer Verlegung vom Großen Garten ins Kongreßzentrum, noch nicht ahnen könnend, daß der Konzertabend witterungstechnisch wunderschön würde (auf eine Rückverlegung verzichtete man aus logistischen Gründen). Da die Nachricht von der Verlegung nicht alle Besucher erreicht hatte, verschob sich auch der Beginn im Kongreßzentrum nach hinten, bis alle aus dem Großen Garten schließlich den (beschilderten!) Weg ans Ostraufer gefunden hatten. Derweil konnte man noch ein wenig über die neue Location philosophieren, welche in ein hochgradig hochwassergefährdetes Areal gesetzt worden und offensichtlich auch nicht als Konzertsaal konzipiert worden war. Letztlich entpuppte sich die Akustik aber als (gemessen an den Erwartungen nach Anblick des Saales) überraschend gut, wenn auch als ziemlich trocken. Auf dem Programm des Abends stand "Oberon", die letzte Oper aus der Feder Carl Maria von Webers, die er kurz vor seinem Tode noch mit großem Erfolg in London uraufführte und eine Reihe von Vorstellungen dort dirigierte. Die konzertante Aufführung lehnte sich an eine Version an, die 1998 im Opernhaus Zürich lief. Puristen mögen den Versuch, "Oberon" konzertant aufzuführen, von vornherein belächelt haben, hatte doch Weber in seinen späten Opern (ja, auch im "Freischütz") den theatralischen Elementen sehr großes Gewicht beigemessen. Den Rezensenten, dem die Musik als solche schon immer wichtiger war als Elemente wie szenisches Spiel, Bühnenaufbau oder Kostüme und der daher Oratorien oder konzertante Opern liebt, störte dies freilich herzlich wenig - die Aufführung machte bis auf kleine konzeptionelle Lücken einen kompletten Eindruck, und nur das zählt.
Die dramatische Gestaltung der "Oberon"-Ouvertüre hat Weber in Teilen seinem größten Erfolg, dem "Freischütz", entliehen, und das Stück gibt zugleich Gelegenheit, einen Blick auf den originellen Dirigierstil von Lothar Zagrosek zu werfen (ich hatte den Mann vorher noch nicht live erlebt), der das Dasein eines bloßen Taktgebers außen vor läßt und sehr dynamisch agiert, also quasi gestische Bilder malt: Sollen die Streicher breite Klangflächen ausbreiten, poliert Zagrosek eine imaginäre Fläche vor sich, als sei er nicht Dirigent, sondern würde gerade die Schmuckoberkante einer Mauer nach dem Verputzen glätten. Umgekehrt funktioniert das natürlich auch: Dramatischere Passagen begleitet er mit wilden Zappelbewegungen - nur schade, daß ihm das Orchester hierbei nicht ganz folgen kann. Während die sanften Elemente ganz vorzüglich klingen (das emotionale, fast weinende Horn im Intro ist da nur die Spitze des Eisbergs) und erstaunlicherweise von der oben erwähnten Akustik nicht verschluckt werden, fehlt den heftigen Abschnitten etwas die Durchschlagskraft und Power, obwohl die Streicher phasenweise ordentlich sägen und auch das Schlagwerk sich große Mühe gibt, von unten respektive hinten her Druck zu erzeugen. Ganz besonders die Sturmszene auf dem Meer im 6. Bild hätte mehr Brachialität verdient gehabt - das an diesem Abend Gehörte ist allenfalls Stärke 7 oder 8 und kein richtiger Orkan. In dieser Szene macht sich übrigens ein ganz früher Einfluß Webers bemerkbar: Er hatte Anfang des 19. Jahrhunderts mal bei Abbé Vogler Unterricht, einem Mann, der als "Vater aller Orgelgewitter", also der lautmalerischen Darstellung von Naturvorgängen (oder auch anderen Geschehnissen, etwa Schlachten) auf der Orgel, gilt (obwohl man einwerfen muß, daß Johann Kuhnau schon 100 Jahre früher mit seinen "Biblischen Sonaten" ähnliche Programmusik geschaffen hat). Daß Weber von Vogler einiges gelernt hat, macht bereits der "Freischütz" (wiewohl erst knapp 20 Jahre nach dem Unterricht bei Vogler geschrieben) überdeutlich, und auch "Oberon" läßt diesbezüglich etliche Verdachtsmomente aufkommen. Verdacht regt sich auch anderwärts: Wolfgang Willaschek versucht im Programmheft "Oberon" als "Oper der Aufklärung" einzusortieren - teilweise nachvollziehbar, aber auch einen Bock schießend: "Mit der heiteren Geschichte von Fatime und Scherasmin (erstgenannte Kammerdienerin der morgenländischen Prinzessin Rezia, zweitgenannter Knappe des abendländischen Ritters Hüon von Bordeaux - Anm. rls) erzählen Wieland und Weber, wie durch Liebe Klassenschranken und Rassengegensätze überwunden werden." Als Untergebene ihrer jeweils adligen Herrschaften gibt es bei gerade diesen beiden nun eben keine Klassengegensätze, und das mit den Rassenschranken können Autor und Komponist auch nicht ganz so ernst gemeint haben, führt man sich Hüons Triumph "Stirb, Heide!" vor Augen, als er den arabischen Prinzen Babekan an der Festtafel zu dessen geplanter Vermählung mit Rezia köpft. Man sollte sich also hüten, mit heutigen Maßstäben Libretti vergangener Jahrhunderte zu analysieren.
Aber genug der großen Haarspaltereien, nur eine kleine noch: Man fragt sich, warum Weber die Rolle des Oberon (immerhin König der Elfen und damit quasi Halbgottstatus besitzend) nicht mit einem drückenden Baß besetzen ließ. So nämlich kommt es zu erstaunlichen stimmlichen Überschneidungen zwischen den drei männlichen Gesangsrollen, die im eine Art inneren Kulminationspunkt darstellenden Quartettgesang Hüons und Scherasmins mit "ihren" Frauen Rezia und Fatime gar das Paradoxon hervorrufen, daß die jeweiligen Untergebenen ihre Herrschaften übertönen. Einzeln betrachtet aber liefern diese vier gute bis ausgezeichnete Leistungen ab: Anton Scharinger spielt einen äußerst vorlauten Knappen, der reihenweise Schmunzelanfälle im Publikum hervorruft, ohne aber lächerlich zu wirken. Charles Workman als Hüon wirft viel Pathos in die Waagschale und klingt nur in den ganz hohen Passagen mitunter leicht angestrengt. Liliana Nikiteanu gibt ihre Fatime ebenfalls auf gutem Niveau, und Solveig Kringelborns Rezia kann sich nur an wenigen Stellen nicht gegen das Orchester behaupten (und das sind erstaunlicherweise nicht ihre Pianissimo-Passagen!) und drückt mit ihrer herzzerreißenden Klagearie am erfolgreichsten auf die Tränendrüse (daß eine arabische Prinzessin nun ausgerechnet blond ist, kommt bei einer konzertanten Oper schon mal vor ...). Für eine Titelrolle erstaunlich wenig zu singen (zumindest in dieser Version) hat Deon van der Walt als Oberon, bei dem die oben erwähnte Diskrepanz zwischen Status und Rollenbesetzung ins Auge bzw. Ohr fällt, und zwar sowohl in seinen Sprech- als auch den wenigen Sangespassagen, wofür van der Walt allerdings nichts kann. Oberons Geist Puck, gegeben von Ulrike Helzel, reiht sich nahtlos ins Ensemble ein, und dann wäre da noch Erzähler Peter Arens, der die Aufgabe des Handlungsvoranbringens, begünstigt durch eine coole Textformulierung, ausgezeichnet löst. Der Unterhaltungswert dieser Fassung beruht zu einem nicht geringen Teil auf dem Erzähltext, während den Gesangspassagen das Einstreuen des gebotenen Ernsts (eine Scheiterhaufenverbrennung ist ja kein Spaß und eine Entführung durch Piraten auch nicht - und man vergesse nicht, daß das Grundthema der Oper die Frage nach der Möglichkeit uneingeschränkter Liebe zwischen zwei Menschen ist, also auch eine existenzielle und mit Ernsthaftigkeit zu behandelnde Frage) zufällt. Die Mischung macht's also letztendlich, was Puristen mißfallen wird, vom Publikum im nicht ganz gefüllten Saal (der Weber-Fan hatte an diesem Abend die Qual der Wahl, denn auf der unweit von Dresden gelegenen Felsenbühne Rathen wurde ebenfalls im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele der "Freischütz" gegeben) aber gern goutiert wird. Trotz der beschriebenen kleinen Schwachstellen insgesamt eine gelungene und unterhaltsame Aufführung.



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