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Menschenliebe. Zauberwort. Ein Friederike-Kempner-Programm   12.02.2004   Leipzig, Moritzbastei
von rls

Nur knapp am literarischen Ruhm schlitterte einstmals Friederike Kempner vorbei, eine aus Schlesien stammende Autorin (liebevoll "schlesische Nachtigall" genannt) mit einem gesunden Selbstbewußtsein, mäßigen Formulierungsfähigkeiten und einer Attitüde, die sich mit "Was nicht paßt, wird passend gemacht" umschreiben ließe. Eines ihrer klassischen Gedichte sei hier zitiert:

Johannes Kepler
Du sahest herrliche Gesichte
In der Nacht
Ein ganzes Blatt im Buch der Weltgeschichte
Du hast es vollgemacht

Ebenjener Friederike Kempner gedachte anläßlich ihres 100. Todestages eine illustre Runde in der Moritzbastei mit einem bunten Programm ihrer Lyrik. Zentrale Vortragende waren Axel Thielmann und Katharina Keller, während Henner Kotte einen Abriß des Kempnerschen Lebens, Schaffens und (Nach-)Wirkens beisteuerte und Thilo Augsten einfühlsame bis komische Pianointerludien bzw. -begleitungen einstreute. Friederike Kempners Bücher wurden seinerzeit - so kolportiert man mit unsicherem Wahrheitsgehalt - von der peinlich berührten Verwandtschaft zu weiten Teilen aufgekauft und vernichtet; lange nach ihrem Tode erfuhren ihre Werke gelegentliche Neuauflagen für Liebhaber der gut gemeinten Dichtkunst, während noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Berliner Literaturkritiker Alfred Kempner offiziell seinen Nachnamen in Kerr änderte, um dem ihm entgegenwehenden Wind als vermeintlichem Verwandten Friederikes zu entgehen. Erhalten hingegen blieben auch Kempnersche Denkschriften zu verschiedenen Aspekten des Sepulkralwesens, etwa was die Verhütung des Lebendigbegrabenwerdens betraf - ein Thema, das sich auch in verschiedensten ihrer Dichtungen wiederfindet. Das unheilvolle Scheitern Friederike Kempners als Dichterin umschrieb Henner Kotte treffend mit den Worten, sie habe immer nur knapp, aber eben doch danebengelegen - eine Theorie, der beispielsweise das selbstredend auch im Programm befindliche Gedicht "Der Invalid" stützte, in welchem sich sozialkritische Tendenzen und großes Pathos mit unfreiwilliger Komik zu einem gewaltigen Ganzen paarten, das Hans Grimm Jahrzehnte später in "Volk ohne Raum" in ähnlich paradoxer Weise realisierte. Nur leider erwies sich Axel Thielmanns Stimme als bisweilen zu gewaltig selbst für die dramatischeren der Kempnerschen Verse - ich weiß nicht, ob ich nur an einer akustisch ungünstig verstärkten Stelle des kleinen Raumes saß, aber bisweilen dröhnte sein Organ akustisch eindeutig zu dominant (und ich hatte mit vielleicht zehn Metern schon den größten Abstand aller im Raum befindlichen Personen zu ihm). Katharina Keller an seiner Seite fand die nötigen Balancen bedeutend besser. Um das Programm nicht zu einseitig komisch zu gestalten, wurde es von drei Prosatexten aus der Feder Henner Kottes aufgelockert (ebenfalls vom Thielmann-Keller-Team rezitiert), wobei die einfallsreiche Mär von der Erfindung des Biathlons in Zinnwald (passend zur gerade laufenden WM in Oberhof) ebenso zu überzeugen wußte wie die mit botanischem Hintergrundwissen gespickte Geschichte über den Löffel, während "Mittag! Ruhe" nicht nur das komische, sondern auch das tragikomische Element abging, was das Werk in diesem Zusammenhang etwas deplaziert erscheinen ließ. Dennoch: Insgesamt ein sehr lohnender und unterhaltsamer Abend, der leider ohne Zugabe auskommen mußte.



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