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Iris und Carsten Lenz   01.09.2003   Nenkersdorf, Marienkirche
von rls

Ein Liedermacherduo? Mitnichten. Das Ehepaar Lenz aus dem Raum Wiesbaden hat sich einer selten gepflegten Form der (Nicht-nur-) Kirchenmusik verschrieben, nämlich dem vierhändigen Orgelspiel. Wo sonst ein Organist auf der Orgelbank sitzt und mitunter krakenhaft zu arbeiten scheint, potenzieren sich die Möglichkeiten, aber auch die Risiken des Orgelspiels bei der Besetzung mit zwei Organisten noch: Die erzielbare Klangfülle steigt logischerweise noch weiter an als bei einem Einzelorganisten, selbst wenn dieser noch alle möglichen Koppelregister zieht - aber die Gefahr, daß Klangfülle in leeres Pathos oder undurchdringlichen Lärm abgleitet, erhöht sich ebenfalls. Iris und Carsten Lenz hatten nichtsdestotrotz ein heiteres und buntes Programm zusammengestellt, das der erwähnten Gefahr fast durchgehend entging. Für einen Montagabend konnten sie sich in Nenkersdorf über einen außerordentlich guten Besuch freuen - so voll ist die spätmittelalterliche Wallfahrtskirche die letzten Jahre kaum noch zu Weihnachten gewesen.
Die beiden Künstler hatten ihr Programm ansatzweise chronologisch aufgebaut. Die ältesten Kompositionen für Orgel vierhändig datieren aus dem zweiten Quartal des 16. Jahrhunderts und stammen größtenteils aus England. Einen Aufschwung nahm diese Art des Komponierens allerdings erst nach 1750, und dort setzte das Programm ein, nämlich mit einem Präludium samt Fuge von Johann Georg Albrechtsberger (der seinerzeit hohes Ansehen genoß und u.a. einem gewissen Ludwig van Beethoven Kompositionsunterricht erteilte). Über ein bezauberndes Quartetto von Johann Christoph Kellner (dessen Solostimme auch von einer Querflöte übernommen werden kann - diese Version will ich bei passender Gelegenheit unbedingt mal hören) und eine wenig auffällige, aber hübsche Fuga von Pater Sixt Bachmann näherte man sich dem bekanntesten Werk des Abends: Der englische Organist John Marsh wurde u.a. dadurch populär, daß er zahlreiche Werke von Händel für die Orgel einrichtete, darunter auch eine vierhändige Version des "Halleluiah" aus dem "Messias". Das Stück sollte sich allerdings auch als das schwächste der an diesem Abend vertretenen erweisen - nicht aufgrund der Lenzschen Interpretation, sondern schon in Marshs Konzeption begründet, denn er erhöht den barocken Bombast der Originalkomposition mit reihenweise Trillern und anderen "verdichtenden" Figuren so weit, daß die klare Linie verlorengeht und eben das erwähnte leere Pathos entsteht. Aus ganz anderem Holz war da die programmatische Komposition "Ein ländliches Hochzeitsfest" des schwedischen Komponisten Franz Berwald, mit dem das Programm das 19. Jahrhundert betrat, geschnitzt, die das titelgebende Ereignis eindrucksvoll in Töne goß und neben "Nun danket alle Gott" auch schon mal die schwedische Nationalhymne zitierte. Gottesdienstliche Gebrauchsmusik stellten die nächsten drei Stücke dar, nämlich zwei Nachspiele über Choralthemen aus der Feder von Carl Steinhäuser sowie ein recht konventionelles "organ duet" über "Praise To The Lord, The Almighty" (nichts anderes als "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren") des Amerikaners David Howard Hegarty, damit schon fast in der Gegenwart angekommen und einem weiteren Höhepunkt zusteuernd: Carsten Lenz selbst arrangierte anno 2002 das Beethovensche "Freude, schöner Götterfunken"-Thema als Variationszyklus für vierhändige Orgel. Hier sprühte die Entdeckerfreude und der Witz nur so aus den Tasten, egal ob es nun jazzig zuging, man im Moll schmachtete, einen Dudelsack imitierte oder einen Walzerrhythmus (!) unterlegte. Den letzten Höhepunkt gab's, wie sich das gehört, zum Schluß des regulären Programms, nämlich mit dem "Max Cat Rag" des Amerikaners Robin Dinda, der nicht nur, aber besonders durch ein furioses Pedalsolo für vier Füße hervorstach. Für diesen Track änderte man auch die Kamerainstallation: Hatte man bei den restlichen Stücken eine Kamera auf den Spieltisch gerichtet und die Bilder im Altarraum auf eine Videoleinwand projiziert, um dem Publikum auch eine optische Vorstellung von der für die meisten ungewohnten vierhändigen Spielweise zu vermitteln, so richtete man jetzt die Kamera auf den Pedalapparat. Für eine insgesamt sehr gute Gesamtleistung ernteten Iris und Carsten Lenz verdientermaßen großen Applaus und kamen auch um eine Zugabe nicht herum.



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