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24. Minifestival der Liedinterpreten mit reiprich&pötsch: die band, Hubertus Schmidt, Geralf Grams & Heide Kernchen   21.11.2002   Leipzig, Moritzbastei
von rls


Jahrelang bot dieses vom Kreativ Kultur e.V. organisierte Festival den Liedschaffenden Leipzigs und seiner Umgebung ein Podium - nun ist Schluß damit, denn die 24. Veranstaltung unter diesem Banner setzte dem Projekt einen größtenteils würdigen Grabstein.
Die ersten Steinmetzarbeiten wurden vom Duo Geralf Grams/Heide Kernchen geleistet. Dabei war "Duo" gar nicht so der rechte Begriff, denn da saßen eher zwei Einzelkämpfer in einer Zweckgemeinschaft auf der Bühne. Jeder schien hauptsächlich die eigenkomponierten Lieder vorzutragen und leistete bei denjenigen des anderen nur mal mehr, mal weniger tatkräftige Unterstützung. Die Herangehensweise von Heide und Geralf ans Liedschaffen überschnitt sich lediglich in der puristischen Variantenwahl des Liedermachergenres: je eine Stimme, je eine Gitarre, sonst nichts. Die optisch mehr als ansehnliche Heide (das Auge hört bekanntlich bisweilen mit) konzentrierte sich auf herbstlich gestimmte Beziehungslyrik (soll heißen: wenige schöne Momente wechselten mit vielen Szenarien vom Schwinden, Untergehen und Zerbrechen) mit individualbetonter und dankenswerterweise unfeministischer Note (programmatischer Titel: "Ich bin ich"), die nicht zuletzt durch eine wirklich schöne, mittellagige und glasklare Stimme bestach und zu der Geralf bisweilen ansprechende Gitarrenleads beisteuerte. Dagegen war Geralf für das komödiantische, bisweilen auch groteske Element des Programms zuständig. Seine Songs wimmelten von sprachlichen Klimmzügen der geschickten Art, konsequent verbale oder auch rein schriftliche Doppeldeutigkeiten der deutschen Sprache verarbeitend und eine große Portion Kult hinzufügend, obwohl oder gerade weil auch er viel mit dem Herbst zu tun hatte (und ganz traditionsbewußt ohne Socken in Jesuslatschen agierte). Das hingebungsvoll rezitierte Gedicht "Ilze Pilze, keener willze" erinnerte im besten Sinne an eine hochwertige Büttenrede (falls es so etwas überhaupt geben sollte), während "Der Nikolaus" nach Aussage unseres ebenfalls anwesenden Redaktionsneuzugangs Marco Schlunk anfangs quasi wie eine Unplugged-Version von Rammstein rüberkam - zweideutiger Text inclusive, der erst in der letzten Zeile des Refrains offenbart, daß das lyrische Ich, das es des Nachts auf Kinder abgesehen hat, eben kein Triebtäter, sondern der Nikolaus ist. "Du Lappen, du" mit seiner Verunglimpfung der US-Flagge wiederum dürfte für etliche Jahre Einreiseverbot im Land der unbegrenzten Möglichkeiten (und Dummheiten) reichen. Bei Geralfs Songs beschränkte sich Heide auf einige Rhythmusgitarren und Backing Vocals. So entstand, begünstigt durch die paritätische Abfolge der Songs, zwar ein ambivalentes Bild, aber die Abwechslung verhinderte automatisch das Aufkommen irgendwelcher Eindrücke der Monotonie. Erwähnung finden müssen unbedingt noch der klare Sound, dank dessen man jedes Wort verstand, und die bisweilen doch etwas nervigen Gitarrenstimmorgien. Trotzdem: Würde ich jederzeit gerne wieder erleben, die beiden.
Von Hubertus Schmidt kann ich das nur situativ bedingt behaupten. "Leipziger Schule" nannte Torsten Reiprich die Herangehensweise des nicht mehr ganz jungen Schmidt, der als singender Einzelkämpfer am Piano agierte und sein Programm mit Texten u.a. von Reimann und Brecht (!) nach der Maßgabe zusammengestellt zu haben schien, daß in jedem Text mindestens ein Kraftausdruck der Marke "gefickt" oder "Scheiße" vorkommen müsse. Hätte man von den Texten nicht nur diese hingebungsvoll deklamierten Begriffe verstanden, sondern auch noch den Rest, hätte man das vielleicht interpretieren und einordnen können. Leider schob Schmidt diesem Ansinnen einen Riegel vor, indem er mal vor sich hinnuschelte und in anderen Passagen wiederum an einen Death Metal imitierenden Marcel Reich-Ranicki erinnerte. Sein begleitendes Pianospiel hatte einige inspirierte Momente gebunkert, das Gesamtschaffen aber trieb mich in der zweiten Hälfte der Dreiviertelstunde mehr und mehr in Morpheus' Arme.
Vor urewigen Zeiten hatten Torsten Reiprich und Thoralf Pötsch in ihrer damaligen künstlerischen Inkarnation als Liedermacherduo das erste Minifestival der Liedinterpreten eröffnet. Nun war es wiederum an den beiden, das letzte Festival zu beenden, und sie taten dies natürlich in ihrer jetzigen Inkarnation. Nun verbirgt sich hinter dieser Inkarnation aber kein Duo, sondern eine komplette Band, und eine solche hat per definitionem auf einem Festival der Liedinterpreten nichts zu suchen. Des scheinbaren gordischen Knotens denkbar einfache Lösung: Man spielte (erstmals!) eine Art Unplugged-Auftritt. Soll heißen: Basser Ecki investierte in einen Akustikbaß, Trommlerin Kathrin saß hinter einem extrem abgerüsteten Instrument (das den militärischen Grundrhythmus des Openers "Ich hab es nicht gewollt" trotzdem noch eindrücklich zu erzeugen in der Lage war), Frank beschränkte sich auf Akkordeon und klassisches Piano, und selbstredend warf auch die ein- bis zweiköpfige Gitarrenfraktion keine Marshall-Türme ins Gefecht. Neue Songs extra für die Unplugged-Variante hatten reiprich&pötsch nicht geschrieben, aber den bereits von der "Mohntage"-CD bekannten Tracks und einigen in der Zwischenzeit für die volle Bandbesetzung entstandenen neue Gewänder angezogen. Und die paßten größtenteils auch erstaunlich gut, mit zwei Ausnahmen: In "Mohnblumen" und "Lublin" habe zumindest ich mich schon derart an die harmonischen Keyboardteppiche gewöhnt (schließlich waren sie es, mittels derer ich vor vielen Monden den Zugang zum reiprich&pötsch-Material fand), daß mir diese in den Versionen dieses Abends doch etwas fehlten, woran nicht mal der neue, sehr interessante kammermusikalische Touch der gestrafften "Mohnblumen"-Version was ändern konnte. Eine weitere Premiere gab's für Kathrin: Erstmals spielte sie auch bei reiprich&pötsch Flöte (was sie in diversen anderen Bandprojekten mit partiell identischer Besetzung schon öfter tat und tut), wohingegen ihre gelegentlichen Backing Vocals etwas zu sehr in den Hintergrund gemischt waren. Im Vordergrund standen aber natürlich Thoralf Pötschs erneut exzellente Gitarrenarbeit und Torsten Reiprichs Textdeklamationen (mit etwas höherem Verständlichkeitsgrad als bei Schmidt), den Hörer nicht mit dem T-34 überrollend (wie es Schmidt nach dem Gig als wünschenswert einforderte - ich sehe das doch etwas differenzierter), sondern ihn trotz aller Düsternis weder hilflos auf dem Schlachtfeld liegenlassend noch verarschend. Business as usual sozusagen, ein bißchen anders als sonst, aber immer noch hochklassig und ein würdiger Abschluß nicht nur dieses 24. Festivals, sondern der ganzen Festivalreihe, der im Interesse der kulturellen Basisarbeit und Vielfaltserhaltung eine wie auch immer geartete Fortführung zu wünschen wäre.



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