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Tiamat, Moonspell, Flowing Tears    23.03.2002    Glauchau, Alte Spinnerei
von rls

Ein vielversprechendes Düsterpackage zog da durch die Lande und schrie förmlich nach livehaftiger Begutachtung. Das schon fast zum Spinnerei-Markenzeichen gewordene zeitliche Chaos (diesmal allerdings auch dadurch begründet, daß die Tour am Abend vorher in Budapest gastiert hatte und der gesamte Troß erst sehr spät angekommen war) konnte mir relativ egal sein, da ich aufgrund eines Interviewtermins mit Tiamat-Johan sowieso sehr zeitig vor Ort war.
Letzten Endes pegelte sich alles auf die eigentliche Spinnerei-Standardzeit von 21 Uhr ein, und hernach hatten Flowing Tears eine halbe Stunde lang Gelegenheit, den Anwesenden zu beweisen, daß man auch in Deutschland, genauer im Saarland, stimmungsvollen Düsterrock bis Düstermetal schmieden kann. Auf ihrer 2000er Tour mit Therion hatte ich die Band klassisch verpaßt und war dementsprechend diesmal besonders gespannt. Die Besetzung sorgte für eine erste kleine Überraschung, denn irgendwie hatte ich Flowing Tears als Quintett in Erinnerung, aber da standen nur vier Leute auf der Bühne (der reichlich strapazierte elektronische Helfer agierte allerdings wahlweise als zweiter Gitarrist, als Keyboarder oder auch als Percussionist), die sich redlich Mühe gaben und frisch von der Leber wegrockten, ohne allzusehr in "Ich-bin-traurig"-Klischees zu verfallen, aber auch ohne romantisch-schöne Melodien zu vergessen. Wenn Sängerin Stephanie einen Refrain namens "I will love you" ins Mikro haucht, dann beginnt man automatisch mit der Projektion auf die eigene Situation. Die Sängerin entpuppte sich als keineswegs den gängigen Gothic-Stereotypen entsprechende Stimme, denn sie hielt sich hauptsächlich in warmen mittelhohen Lagen auf und ließ mit den im Sound annehmbar vertretenen Gesangslinien etliche Schauer der angenehmen Sorte über die Rücken diverser anwesender Personen laufen. Nicht mit den bereits vier erschienenen Longplayern vertraut seiend, kann ich zur Setlist nichts Explizites sagen - ein Track allerdings kam mir doch arg bekannt vor: "Swallow", der vor einigen Jahren mal auf einem RockHard-"Unerhört"-Sampler stand und dessen Harmonien man auch dann noch aus dem Stegreif mitsummen kann, wenn man den Song ewig nicht mehr gehört hat.
Moonspell und Tiamat schienen sich als Headliner jeweils abzuwechseln, und diesmal hatten Tiamat den genannten Posten inne. Somit stiegen also Moonspell als zweite Band auf die Bretter und rahmten ihren einstündigen Set mit den beiden epischsten und besten Tracks des aktuellen "Darkness And Hope"-Materials ein: "Than The Serpents In My Arms" als Opener und das portugiesischsprachige Madre Deus-Cover "Os Senhoras Da Guerra" als Zugabe. Zwischenzeitlich spielten sie sich einmal in ihre Vergangenheit zurück und waren über das stürmisch gefeierte "Opium" zu "Wolfheart" zurückgekehrt, intonierten von dieser Platte aber nicht das erwartete "Vampiria" oder etwa "Alma Mater", sondern zu meiner positiven Überraschung "Wolfshade". Ansonsten dominierte aber der neue Silberling im Set ("Devilred" oder der Titeltrack als Exempel), und das war auch gut so, denn er ist der beste seit "Wolfheart", läßt sowohl die etwas zu plakative Eingängigkeit von "Irreligious" als auch die bisweilen etwas übertriebene experimentelle Ader von "Sin/Pecado" und "The Butterfly Effect" (deren Material natürlich auch nicht unberücksichtigt blieb) außen vor. Die bisweilen heftig treibenden neuen Songs erforderten auch eine angemessene Umsetzung, und so hatte Fernando nicht nur wieder seinen Brüllkreischgesang häufiger aus der Klamottenkiste hervorgeholt (natürlich gab es immer noch genug schmachtende Emotion a la Pete Steele für die in allerdings gar nicht so großer Zahl anwesenden Gothic-Girlies), sondern sich Keyboarder Pedro auch noch eine zweite Gitarre umgehängt, mit der er bedarfsweise für fette Riffs sorgte und seinen Kollegen auch bewegungstechnisch Beine machte. Etwas zu laut und zu verwaschen war's allerdings auch schon wieder (nachdem Flowing Tears noch einen cleaneren und leiseren Sound hatten), aber darüber rege ich mich wahrscheinlich noch in hundert Jahren auf. Das ausladende "Full Moon Madness", dem man nach wie vor deutlich anhört, daß die epische Phase Bathorys auch in Portugal rezipiert worden ist, beendete den regulären Teil des Sets und demonstrierte, daß sich Moonspell ihren Platz in der Gothic Metal-Abteilung zurückerobert haben.
Generell Ähnliches könnte man von den 65 Minuten Tiamat berichten, denn auch deren Experimentalphase scheint vorbei zu sein, und Johan & Co. brachten viel von dem teilweise recht eingängigen Gothic Rock der beiden aktuellsten CDs "Skeleton Skeletron" und "Judas Christ" zu Gehör, anstatt sich wie auf der Tour zum Album "A Deeper Kind Of Slumber" in bisweilen langatmigen elektroniklastigen Passagen zu verlieren. Die Fähigkeit zu einer wenig spektakulären, aber schönen Lightshow haben sie allerdings erfolgreich konserviert, und auch die Praxis der letzten Tour, für die Singletracks (damals "Brighter Than The Sun", heuer zusätzlich noch "Vote For Love") weibliche Verstärkung auf die Bühne zu holen, wurde beibehalten - allerdings zog Flowing Tears-Stephanie gegenüber Tristania-Vibeke klar den kürzeren, da sie einesteils in der instrumentalen Dichte (und im zu lauten Sound) von "Vote For Love" etwas unterging und die hohen Passagen in "Brighter Than The Sun" nicht gerade mit ihrer Idealhöhenlage korrespondieren. Sei's drum, auch Tiamat rockten mit sichtlich Spaß und gleichzeitig mit viel Gefühl, nicht nur, wenn's an die "Wildhoney"-Klassiker "Whatever That Hurts" und "The Ar" ging, die im vollen Saal das größte Echo hervorriefen. Johan bemerkte zu Recht, daß viele Anwesenden wohl dachten, Tiamat hätten ihre besten Songs vor zehn Jahren geschrieben, und demzufolge gab's als erste Zugabe auch "The Sleeping Beauty", dem als Kontrast mit Johans Bemerkung "Yes, and we think we write our best songs today" wieder ein neuer nachgeschoben wurde. Den finalen Gongschlag setzte aber die phantastische Halbballade "Gaia", immer noch ein Monument der Emotionalität, ein flammender Aufruf, verantwortlich mit der Schöpfung umzugehen, und zugleich deren Fragilität eindrucksvoll demonstrierend, worin die Liveversion dem Studiotake in nichts nachstand. Mehr davon!
 






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