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Fallin’ Oaks    02.10.2001    Leipzig, UnterRock im Geyserhaus
von kb

Es ist Herbst und im Pilzjagdgebiet fallen die Eicheln. In die Kellerkneipe UnterRock fallen komplette Eichen ein, aber ganz ohne disaströse Auswirkungen. Eine Freundin, mit der ich zu Konzertbeginn noch sommerlich unter der dicken hohlen Akazie (Vorsicht, Umfallgefahr!) sitze, meint zwar, solcherart Jazz sei nicht so ihr Fall, aber nach dem Gang auf’s Tö stellt sie fest, wenn man unten wäre, würde man merken, dass die Typen schon genau wüssten, was sie da spielen. Nun, zumindest im übertragenen (technischen) Sinne ist das unbedingt zu bestätigen. Ich tauche nach dem Töbesuch nicht mehr aus dem Keller auf, auch wenn da gleich mein Nachbar herzuspringt und mich endlos von der Seite zutextet: Er kann mit der Dudelei nix anfangen. Und da er weiß, was der Feistus früher für Musik gemacht hat, fragt er sich, ob dem das da überhaupt Spaß macht. Sein langjähriger Freund Schemmi am Schlagzeug wird auch ständig ausgebremst und darf gar nicht so richtig reinhauen, wie er gerne würde. Und außerdem lassen die sich doch gegenseitig gar nicht zu Wort kommen. Dauernd spielt der mit dem Saxofon. Da hört er doch lieber Smetana, wo das alles eine klare Linie hat und schöne Melodie und so. Und so weiter. Na, dann mal Gute Nacht, Frau Nachbarin.
Traut man nun seinen eigenen Augen (und Ohren), dann muss man schon sagen, dass dem Thomas Feist, der sich da in seinem Zweiseitenhof aus Keys häuslich eingerichtet hat, das wohl Spaß machen muss, denn er trägt die ganze Zeit über ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Und das präsentiert er hauptsächlich seinem Kollegen Thomas Kempe, der in der Tat mit Sax oder Querflöte meist das Wort führt, aber durchaus nicht ausschließlich. Wenn man ihn nämlich derart freundlich von der Seite hypnotisiert, lässt er auch mal Luft ran und seine Kollegen rein. Hauptsächlich den an den Keys. Das Schlagzeug hat nun mal in einer solchen Besetzung seltener Solofunktion, aber wenn man mal genau hinhört, dann hat es doch auch abseits der gelegentlichen Soli Interessantes zum Thema beizutragen, wenn auch nie aufdringlich, wie das so mancher Schlagzeuger Art ist. Ach ja, auch dieses spielt (sich) nicht von allein, denn dahinter versteckt sich ein relativ kleiner Mensch namens Andreas Schemmel, der sich wohl eher anderswo austobt, hier augenscheinlich mit Genuss friemelt und sich die meiste Zeit derart in sein Instrumentarium verkrümelt, dass man sich besorgt fragt, wie er jemals wieder an sein extrem hoch gehängtes Becken kommen will (das neben dem Knie dürfte ja kein Problem sein). Überraschung – er schafft es tatsächlich, wird für kurze Zeit sichtbar, bevor er wieder in der Versenkung verschwindet. Das ist alles schon sehr spannend, aber auch streckenweise wieder entspannend und durchaus mit einigen schönen Melodiebögen gesegnet, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Kollegen sich gegenseitig an die Wand spielen. Einzig der Bass kommt ein wenig kurz, aber das ist wohl im Moment noch so gewollt, denn er wurde erst vor kurzem von der Straße aufgesammelt und Ingo Rauner getauft, wie die launigen Ansagen wissen lassen; dies ist sein erster Gig mit den Verrückten, und so gewöhnt er sich erst mal ein, indem er seiner biologisch-bassistischen Bestimmung nachkommt und wie ein Fels in der Brandung (alias Eiche im Sturm) steht.
Was sonst noch passiert: Gelegentlich verlassen befugte Personen bei laufender Vorstellung die Bühne (jaja, auch der am Saxofon!), um hernach mit seltsamen Instrumenten wiederzukehren. Es wird aus Flax am Krümel in Jahrmarktströten gepustet, Ratschen und Rasseln werden geschwenkt, auch tauchen zwei Didgeridoos auf, die vor Lachen kaum geblasen werden können, weil sich gleich noch ein drittes Selbstbau-Möchtegern-Didge einmischt, das andauernd dazwischenquasselt und dabei aussieht wie ein Abflusssauger. Der musikalische Mehrzweck-Kempe macht uns auch noch sehr hübsch die Djembe, und alle zusammen machen gelegentlich sehr hübsch irgendwelche balkanisch ungeraden Taktarten. Herr Bach wird zitiert und im fast gleichen Atemzug noch wer anders (leider vergessen). Ein überregional bekannter (wenn auch stummer) Drummer, der den vorübergehend frei gewordenen Hocker besetzen möchte, wird freundlich abgewiesen und weiß, was sich gehört. Und überhaupt haben alle, auch die kleine versammelte Fangemeinde, viel Spaß, was sich ja nun bei Jazz überhaupt nicht gehört. Vermutlich ist das aber auch gar kein Jazz, sondern ein einziger Spaß, den sich die Herren da jedesmal neu ausdenken. Und deshalb weiß vorher auch keiner so richtig, was nachher gespielt wird, auch wenn sie währenddessen genau zu wissen scheinen, was gerade gespielt wird. Oder so ähnlich.



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