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Aldo Lagrutta    09.08.2001     Borna, Kunigundenkirche
von rls

Full House - wann gibt's das bei Kirchens außerhalb vom 24.12. noch? Wenn ein Mensch wie Aldo Lagrutta spielt! Dabei dürfte kaum ein Mensch vorher jemals dessen Namen gehört haben. Aber wer mit 14 Jahren ein reguläres Konservatoriumsstudium aufnimmt und dieses nach ganzen drei Jahren mit dem Titel "Professor Ejecutante" abschließt, der bei normaler Studienzeit erst nach neun Jahren auf dem Programm steht, wer daraufhin (mit 17 Jahren!) zum Professor am Nationalkonservatorium Venezuelas ernannt wird, der muß was ganz Außergewöhnliches können, dachten sich die Konzertbesucher, die denn auch die ehrwürdige romanische Kunigundenkirche zahlreich bevölkerten.
Und Lagrutta rechtfertigte die Vorschußlorbeeren von der ersten bis zur allerletzten Minute. Was dieser Mensch im Alleingang aus seiner Akustikgitarre rausholte, ersetzte locker eine kleine Streicher-Kammermusikbesetzung oder auch einen kompletten Organisten. Der Kunst des Gitarrespielens mächtige Besucher zeigten sich demzufolge höchst beeindruckt, wie Lagrutta, anstatt einfach nur komplette Chords oder aber Melodien zu spielen, diese derart zu Clustern zusammenballte, daß man sich nur noch fragte, wie er das mit den Fingern einer Hand hinbekam. Daß Geschwindigkeit ebenfalls keine Hexerei für ihn darstellte, bewies er ebenfalls, wo es nötig war, verfiel aber nicht in einen selbstverliebten Rausch, sondern spielte stets kompositionsdienlich. Anfangs kam sich der Rezensent wie im falschen Film vor, drang doch in den ersten Stücken so gar nicht die erwartete lateinamerikanische Stilistik ans Ohr, sondern eher europäische Melodik und Harmonik, die phasenweise gar verdächtig nach erzgebirgischer Folklore klang (möchte zu gerne wissen, was dieser Mann mit einer Zither anstellen würde), aber ein Blick ins Programm schaffte Klarheit, denn der brasilianische Komponist Heitor Villa-Lobos hatte seine Suite zwar "Suite Populaire Brasilienne" genannt, aber in den einzelnen Stücken der Suite tatsächlich europäische Vorbilder umgesetzt ("Mazurka Choro", "Schottisch Choro" etc.). Aber in den Folgestücken kamen auch die Liebhaber spanisch-lateinamerikanisch geprägter Gitarrendemonstrationen auf ihre Kosten, ohne daß man Lagrutta nun auf ein Genre reduzieren konnte. Gefühlsbetont, aber keineswegs pathostriefend, luden die ruhigeren Passagen zum Hinwegdriften nach Venezuela an den Fuß des Roraima oder auch in die Arme einer göttlichen Figur ein (Agustin Barrios Mangoras Komposition heißt nicht umsonst "Nahe bei deinem Herzen - Ein Almosen um der Liebe Gottes willen"), während die hundeschwierigen, teilweise sehr schnellen Passagen technisch brillant, aber nicht leblos umgesetzt wurden. Ganz im Gegenteil: In der zweiten Hälfte begann Lagrutta, spanische und lateinamerikanische Tanzmusiken, die normalerweise eine Kapelle unter reichlicher Beteiligung von Percussions umsetzt, zu interpretieren, und er entlockte seinen Gitarrensaiten ein Kapelleninstrument nach dem anderen, mitunter auch einige gleichzeitig, daß man nur noch mit offenem Mund dasaß und im Geiste, so man selber Gitarrist war, sein Instrument virtuell verbrannte, sich dann aber doch entschloß, lieber die positiven Anhaltspunkte zu ergreifen und noch fleißiger zu üben, um in der gitarristischen Meisterschaft wenigstens ein Stück weit an diesen mittlerweile in Deutschland lebenden Venezolaner heranzukommen. Leider ließ sich Lagrutta nur zu einer kurzen Zugabe hinreißen, aber Publikumsovationen waren ihm trotzdem sicher.
 






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