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11. Spandauer Nacht mit Broomtree und U.phonic    28.10.2000    Berlin-Spandau, Freikirchliche Gemeinde
von Norbert von Fransecky

Wenn Christen rocken gehen
Spandauer Festival ging in diesem Jahr in die 11. Runde

U.phonic? Broomtree? Spandauer Nacht? Selbst aufmerksame Leser mehrerer Rock-Magazine werden bei diesen Namen ratlos mit der Schulter zucken. Dabei haben sie durchaus etwas verpaßt. Dazu gleich.
Alle drei Namen gehören in eine Szene, auf die gelegentlich mit erkennbarer Geringschätzung herabgeblickt wird. Nicht ganz ohne Grund, wie Wolf Hahn, der Manager von U.phonic deutlich macht. U.phonic gehört in die christliche Rockszene, ist ein Nachfolgeprojekt von Fischmäc, dort ein in den letzten Jahren nicht ganz unbekannter Act. "Bei U.phonic werden wir das Christliche aber nicht allzu groß auf die Fahne schreiben", kündigt Manager Hahn an. Nicht etwa weil man sich von den Inhalten verabschiedet hat, sondern weil das christlichen Bands oft entgegengebrachte Vorurteil, musikalisch nicht ganz auf der Höhe zu sein, nach Ansicht von Hahn nur zu Unrecht besteht. In dem Bereich wird vieles produziert, das es nie verdient hätte auf CD gepreßt zu werden. Da kommt es dann nur auf die Message an.
Bei U.phonic ist das natürlich völlig anders, meint jedenfalls der Manager. Eine CD gibt's noch nicht. Daher ist das bislang nur im Internet nachzuprüfen oder live wie z.B. auf der bereits erwähnten Spandauer Nacht, die am 28.10.2000 über die Bühne ging. U.phonic waren die Opener und hatten das Publikum schnell im Griff. Eagle-Eye Cherry war im Promomaterial zu recht als Vergleich genannt worden. Und dem Vergleich wurde Sänger Hutch Riccetelli mit seiner gefühlvollen Stimme durchaus gerecht. Die derzeitige Besetzung ist ansonsten nicht so wichtig, erklärt der Manager. U.phonic, das sei im wesentlichen Riccetelli, der jetzt mit seinem neuen Projekt richtig durchstarten wolle. Das Potential dazu muß man dem Halbitaliener zugestehen. Obwohl auch der Bassist und Gitarrist mit Action und powergeladenem Stageacting dazu beitrugen, eine wirkliche Live-Show auf die Bühne zu bringen, war es vor allem Riccetelli, der das Publikum in seinen Bann schlug und neben Eagle-Eye Cherry teilweise sogar an Prince (oder wie immer der kleine Mann derzeit heißen sollte) erinnerte. Nach einer knappen Stunde wurden lautstark Zugaben eingefordert, die gerne gewährt wurden und aufgrund des bereits vollständig heruntergespielten U.phonic-Programms aus Wiederholung bestanden, darunter das auch im Internet präsentierte "Freak" mit entsprechender Promotion, ebenso wie die zweite Internet-Nummer "Pray", eine fast sichere Hitsingle.
Passend zu den Ankündigungen des Managers ließ Riccetelli sich praktisch nicht zu missionarischen Ansagen verleiten. Das übernahm der Aushilfsbasser, der sein überraschendes, für Gelächter sorgendes Statement, "ich bin mit dem Flugzeug nach Berlin gekommen, weil ich ohne Flugzeug nicht fliegen kann", zur 1Minuten30-Kurzpredigt ausbaute. Sinn des Ganzen: Ich brauche Jesus in meinem Leben, wie ich das Flugzeug zum Leben brauche.
Ein Statement sicher ganz im Sinne des Veranstalters. Die Spandauer Nacht wird seit elf Jahren von der Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) in der Spandauer Jagowstraße (in Berlin) organisiert. Und die Freikirchler sind in der Regel eine Nummer frommer als die normalen Landeskirchler. 1990 ist man mit einem Billing gestartet, das vor allem aus Berliner Bands bestand. Aber bald sprengte man den regionalen und dann auch den nationalen Rahmen. In den letzten Jahren waren einige der ganz großen Namen der poppenden christlichen Internationalen in der Havelstadt bei Berlin. Mittlerweile hat man sich ein festes Stammpublikum erarbeitet. Auf die Frage, wer denn zum ersten Mal da sei, hoben sich nur einige Dutzend Arme im mit etwa 500 Personen gut gefüllten Kirchensaal, der für diesen Abend mit mächtigen Boxentürmen und Scheinwerferbatterien zur Konzerthalle umfunktioniert worden war. Das im wesentlichen auf ehrenamtlichen Schultern ruhende Event brauchte im Blick auf Professionalität in Ablauf, Ausstattung und Programm keinen Vergleich mit kommerziellen Konkurrenten fürchten.
Nähere Informationen kann man sich auf der Homepage (www.spandauernacht.de) holen. Dort sind auch die Seiten einiger der beteiligten Bands anwählbar, u.a. natürlich U.phonic und die zweite Band, die in diesem Jahr Headliner war: Broomtree, die bei der Spandauer Nacht ihr erstes Konzert außerhalb von Nordamerika gaben. Der Kontrast zu U.phonic konnte kaum größer sein. Broomtree sind kein Projekt, das den Manager zum Interview schickt, sondern eine echte Band, die mir in voller Besetzung gegenüber saß. In den Texten ginge es vor allem um die Gnade Gottes und um Jesus Christus, der die Hoffnung sei, nach der sie gesucht habe, erklärt Sängerin und Texterin Kylie Schilg. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten CD bestände dabei darin, daß die erste noch viel Angelesenes verarbeitet hätte, während die Texte mittlerweile reifer und persönlicher geworden seien. Die CDs könnt Ihr in Deutschland über www.amazon.de im Internet bestellen, ergänzt Gitarrist Nathan Westheld geschäftstüchtig. Die dritte CD komme im März. Hitparadenerfolge habe man in der viereinhalbjährigen Bandgeschichte auch schon gehabt - in den CCM-Charts (spezielle US-Hitparade für christliche Rock/Pop-Musik). Meine Vermutung, daß es bislang wohl noch nicht gelungen sei, die Billboard-Charts zu knacken, quittierte Westheld mit gut gespielter Zerknirschung, "gut, daß Du uns daran erinnerst".
Als Broomtree einige Minuten nach unserem Gespräch auf der Bühne standen, war von Zerknirschung allerdings keine Spur mehr zu spüren. Vom ersten Takt an peitschte das Quartett seine Kompositionen mit einer Energie in die Menge, die U.phonic selbst in den Glanzmomenten nicht erreichen konnten. Wir haben halt auch 'n paar Punk-Wurzeln, hatte Kylie mir schon angekündigt, die jetzt über's ganze Gesicht strahlend in der Mitte der Bühne stand, und das Publikum für den Rest des Abends nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. "Jesus is the Rock that rolls my Blues away", das Motto vom christlichen Alt-Rocker Larry Norman wurde an diesem Abend einmal wieder quicklebendig. Hoffentlich haben die Spandauer Baptisten die Kraft für noch viele Spandauer Nächte ...

Dieser Artikel ist original in der Winter 2000/2001-Ausgabe des Online-Zines www.rock-pages.de erschienen.



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