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W:O:A - WACKEN OPEN AIR    03.-06.08.2000     Wacken
von Janet

Wacken ist ein kleines hübsches Nest in der Nähe von Itzehoe zwischen Hamburg und der Nordsee. Es gibt dort flache rote Backsteinhäuschen, samstags den heimischen Rasen auf internationale Fußballstadiennorm kurzmähende Familienväter und sogar Straßennamen. Einmal im Jahr jedoch drohen langhaarige Herdenmenschen, die wie von der Tarantel gestochen in Wacken einfallen, diese beschauliche Idylle ernstlich zu gefährden. Jenes Ereignis findet seit nunmehr elf Jahren an jedem ersten Augustwochenende statt. Da werden regelmäßig die beiden Supermärkte, die Zigarettenautomaten und die Getränkebuden sowieso leergekauft (ich HOFFE zumindest, dass da für alles auch Geld fließt...), der Sparkassenautomat leergeräumt und alles ganz böse belagert, beschmutzt und vollgemüllt. Inzwischen stehen dann immer an der Hauptstraße des Ortes entlang alle 50 Meter zwei Dixi-Klos, um noch Unangenehmeres zu vermeiden... Die Wackener kann das alles erstaunlicherweise aber gar nicht aus der Fassung bringen. Entweder haben sie ein übergroßes Herz für uns Metaller, oder es ist einfach eine gute Lehrstunde, wenn man mit seinen Kindern oder Enkeln einen Wochenendausflug über die riesigen Campingflächen der kurzurlaubenden Randgruppenexistenzen unternehmen und seinem Nachwuchs live vor Ort zeigen kann, was aus ihm wird, wenn man nicht sonntags in die Kirche geht, sondern gewaltverherrlichende Beatmusik hört und an die Hecken pisst. So ein bisschen fühlt man sich als W:O:A-Besucher schon wie im Museum, denn sogar Radfahrer aus der näheren Umgebung kommen, um zu gucken. Egal! Die Metalgemeinde ist der Friesengemeinde unendlich dankbar, dass sie jedes Jahr an derselben Stelle ihr größtes traditionelles Fest feiern darf. Etwa 20.000 Leute (obwohl einem das von Jahr zu Jahr wesentlich mehr vorkommt) tummeln sich dann auf riesenhaften Flächen, die normalerweise als Äcker dienen (gut gedüngt sind sie ab August jedenfalls...). Sie schlafen dort, sie essen dort, sie trinken VIEL, und vor allem - sie gucken sich Bands an. Und davon spielen in Wacken immer eine Unmenge, was einen eigentlich nur überfordern kann. Deswegen reduzierte man ihre Anzahl von über 80 im letzten Jahr auf diesmal 70, statt 5 gab es dieses Jahr „nur“ 4 Bühnen, von denen meist zwei gleichzeitig bespielt wurden. Natürlich kam es so immer noch zu fiesen Überschneidungen, wenn man sich für beide zur gleichen Zeit aufspielenden Combos interessierte. Man muss dann eben Prioritäten setzen, sich zerteilen oder mal wieder über den Veranstalter aufregen, wobei letzteres die Stimmung allerdings nicht wirklich aufhellt... Außerdem ist es keinem mir bekannten Wesen möglich, 14 (am Freitag) bzw. 17 Stunden (am Sonnabend) am Stück Mucke zu gucken. So kann ich schon ziemlich stolz auf mich sein, dieses Mal 27 Bands gesehen zu haben. Selbst da kann ich nicht über jede schreiben, sondern beschränke mich auf die Highlights und wirklichen Überraschungen. Weil ich mich nun mal mehr auf dem härteren Sektor heimisch fühle, müsst ihr mir verzeihen, dass dieser Bericht dem eigentlichen Motto des Festivals, nämlich Wert zu legen vor allem auf die traditionellere Metal-Ecke, eigentlich nicht gerecht werden kann.

Bereits am Donnerstagabend spielten drei Kult-Acts: KROKUS (Blues-Rock), MOLLY HATCHET (Southern Rock) und COMPANY OF SNAKES (eines der vielen All-Star-Projekte). Ganz nett, aber ein Urteil kann ich mir nicht erlauben - dafür ging mir das alles zu sehr am Allerwertesten vorbei.
Für mich ging’s erst am Freitag auf der Black Stage los, und das gleich volle Kanone: mit VADER!!! Selten hab ich einen Menschen so schön böse gucken sehen wie den Gitarristen dieser Formation... Die polnischen Death Metal-Heroes schnitten vor Ort ein Live-Album mit, auf das man schon gespannt sein darf! Musikalisch noch heftiger - und damit war auch schon der Härte-Zenit des W:O:A erreicht - gingen DERANGED aus Schweden auf der Wet Stage zu Werke. Ihr extremer, nahezu grindcoriger Death Metal ist ohnehin nichts für jedermann. So hätte man sich wenigstens durch eine einfallsreiche Bühnenperformance in die Herzen der Zuschauer spielen können - aber nix da! Stoisches Gefrickel, Gekloppe und Gegrunze, Matteschütteln, mal drei Schritte nach links, zwei nach hinten und wieder zurück das Ganze - das war’s! Andererseits schien mehr auch gar nicht nötig gewesen zu sein. Extremler wie ich haben sich auch so nicht gelangweilt... Über die grottenschlechte Gothic-Mucke, die noch peinlicheren lyrischen Ergüsse und die alberne Sadomasöchen-Freakshow von UMBRA ET IMAGO wollte ich eigentlich mal herzlich ablachen, aber es ist mir vergangen. Kann nicht mal jemand so einen Haufen Bullshit verbieten? Auch Metaller empfinden Schmerz! Zumindest muss ich Frontmännchen „Mozart“ (was für eine bodenlose Blasphemie...) zugute halten, dass er gar nicht mal so unsympathisch rüberkommt. Aber länger als 10 Minuten hab ich’s nicht ausgehalten. Ohne es zu ahnen, tat ich mir mit dem Gang zur Wet Stage was richtig Gutes: Ich sah LOCK UP! Die erste Umballer-Überraschung des Wochenendes. Frontmann Tomas (der früher langhaarig bei At The Gates und jetzt kurzhaarig bei Disfear für den Vokalteil zuständig war/ist und bei dessen Anblick mir das Wort „Brit Punk“ in den Sinn kam...) begrüßte das Auditorium mit einem „We are from Birmingham, Sweden“, was eingefleischte Death Metal-Jünger nicht verwirren konnte - schließlich handelt es sich hier um ein weiteres All Star-Projekt, zusammengesetzt aus erwähntem Tomas aus Schweden, zwei Napalm Death-Zockern (eben aus Birmingham) und dem Dimmu Borgir-Schlagwerker (wo ist denn der her? – rls). Leicht beeumeln musste ich mich über des Sängers Bemerkung: „I can’t play the guitar today, ‘cause I broke my fucking arm!“ Was zu Hölle ist ein „fucking arm“? Aua aua... Mit „Krach vom Allerfeinsten“ ist LOCK UP auch schon hinreichend kategorisiert. Am Bassisten durfte man die beschissenste Frisur des gesamten Open Airs bestaunen, richtete man seinen Blick allerdings den wesentlichen halben Meter weiter nach unten, kriegte man ein fulminantes, atemberaubendes Spiel zu Gesicht. Tomas stürmte wie ein Derwisch über die Bühne - überhaupt: so ein energiegeladener Gig! Damit aber der Überraschungen noch nicht genug. Peter Tägtgren (Hypocrisy, Pain und und und...), der bis vor kurzem noch Tomas’ Stelle innehatte, enterte unter frenetischem Beifall die Bühne und gab einen Song zum Besten! LOCK UP coverten einen Impaled Nazarene-Titel, und für das Napalm Death-Cover gesellte sich ND-Shouter Barney Greenway himself zu der illustren Schar! Diese Dreiviertelstunde war ohne Frage mein persönliches Wacken-Highlight.
Auf der Black Stage gab es einen fast direkten Vergleich zwischen zwei Black Metal-Bands. Äußerlich kaum zu unterscheiden, weil schwarzweißbemalt, ließ der musikalische Part aber kaum Fragen offen. IMMORTAL siegten ganz klar nach Punkten über MARDUK. Ich steh‘ nicht auf Black Metal, und MARDUK ließen mich auch wissen, wieso. Hut ab vor IMMORTALs Großartigkeit. So setzt man Maßstäbe in diesem überlaufenen Genre.
Dann zur Abwechslung mal was ganz anderes: PINK CREAM 69 auf der Party Stage. Die Karlsruher Melodic Metal-Kapelle sorgte dafür, dass ich mich ein bisschen beruhigte, war natürlich aber immer noch hart genug, um nicht einzuschlafen. Vor allem der Sänger ist ja so nett anzuschauen...
ICED EARTH sind eine exzellente Live-Band. Wer nicht auf Konzerte gehen mag, kann sich davon auch auf deren 3fach-Live-Album „Alive In Athens“ überzeugen, das jetzt schon einen Meilenstein der Metal-Geschichte darstellt. Metalheads dürften an dieser Band ohnehin nicht vorbeikommen. Sie böllerten eine Stunde lang Hits und Schmakerl von der True Metal Stage, dass es - selbst für mich - eine wahre Freude war.
Zum Abschluss meines Tages noch zwei heftige Braten: erstmal HYPOCRISY. Das zweite Mal, dass Peter Tägtgren heute auf der Bühne stand, diesmal allerdings vor dem wahrscheinlich größten Publikum seines Lebens. Was heißt „stand“ - er lief und lief und lief... Ein Mikro stand links, eins rechts, eins in der Mitte, und Peter war überall! Mit der Klampfe in der Hand fühlte er sich auch gleich sichtlich wohler. Ein Mörder-Auftritt einer seit Jahren beliebten Band. Keiner musste auf seinen Lieblingssong verzichten, egal, aus welcher Schaffensperiode der Schweden er stammt. Zwei neue Songs spielten sie auch noch. Im Vorfeld hatte Frontmann Peter angekündigt: „Schluss mit den Schlafliedern! Back to the roots, pure death metal!“ Ich kenne das neue Album noch nicht (Schande über mich!), aber die beiden Sachen, die sie in Wacken darboten, klangen ganz und gar melodiös wie auf den letzten drei Scheiben... Da war ich nun ein bisschen verwirrt und muss mir „Into The Abyss“ wohl ganz schnell zulegen, um Näheres zu erfahren... Noch viel verwirrter war ich am Ende des Gigs. Es ist ja in Metal-Gefilden nicht allzu unüblich, seine Gitarre hinterher zu zerstören, aber dass Peter, der kleine, schüchterne, sympathisch-charismatische Peter, seine Sechssaitige brutalst zerkloppt und die Einzelteile ins Publikum haut.... das kann man wahrscheinlich nur damit zu erklären versuchen, dass er völlig überwältigt und gepusht von der Anzahl und Stimmung seiner Zuhörer war...
Nicht gerade die geeignetste Gute-Nacht-schlaf-schön-Mucke, aber trotzdem das letzte vom Tage (absolut nur reihenfolgetechnisch gesehen), stellten die ebenfalls von jenseits des Großen Teiches angereisten Old School Deather SIX FEET UNDER dar. Eigentlich ist es ja ein Glück, dass Chris Barnes anno dazumal bei Cannibal Corpse gegangen worden ist, denn sonst wären SIX FEET UNDER heute kaum dort, wo sie sind - nämlich ganz ganz oben! Völlig kultig: die Death Metal-Variante von AC/DCs „T.N.T“!

Mich zog es am Sonnabend als erstes zur Party Stage, zum dritten Auftritt Peter Tägtgrens, diesmal wieder mit PAIN, die ich schon beim With Full Force bewundern konnte. Das stimmlich arg angeschlagene, aber dennoch alles gebende Allroundtalent trat heute als knallrot bemalter, gehörnter und in wahrscheinlich sämtliches in Schweden auffindbares Leder gehüllter Teufel auf, was sicher nicht nur meinen Vordermann zu der Frage veranlasste: „Ist das wirklich Peter?“ Es ging nicht ganz so die Luzie ab wie beim With Full Force, es war eben ein anders geartetes (vielleicht nicht ganz so weit über den Tellerrand blicken könnendes?) Publikum, war aber dennoch ein funkensprühendes, flammendheißes Elektro-Industrial-Metal-Inferno.
Auf der True Metal Stage kriegte ich anschließend noch den Rest des Gigs von Iron Maiden-Interimssänger BLAZE BAYLEY zu sehen, der nun also „allein“ unterwegs und damit ziemlich erfolgreich ist. Schön, dass er sich von der Rückholaktion Bruce Dickinsons zu den Heavy Metal-Göttern nicht das Genick hat brechen lassen!
SENTENCED waren schön. Schöne Menschen, schöne Melodien, schöne Melancholie... Einfach nett. Trotzdem vermisse ich die alten (harten) Zeiten ein bisschen... So wartete ich gar nicht erst den Schluss ab, sondern sah mir lieber was an, das ich noch nicht kannte: SOLSTICE. Die brachiale, wuchtig-heftige Doom-Vollbedienung brauchte geraume Zeit, sich in meinen Gehörgängen zurecht zu finden. Wegen des sehr gewöhnungsbedürftigen Gesangs wollte ich das Terrain fast schon wieder verlassen, setzte mich aber zum Glück nur wenig entfernt ins Gras, um mich am Ende fast direkt vor der Bühne wiederzufinden. Eine sehr anspruchsvolle, um nicht zu sagen progressive, Musik, die mich letztendlich komplett fesseln und alles um mich herum vergessen machen konnte. Muss ich mir merken! Dringend!
ENTOMBED wollte ich mir auch nur kurz angucken, da mich ihr Death-Rock nicht (mehr) vom Hocker reißt, aber da sie jeweils einen (wenn auch deutlich rockiger dargebotenen) Song ihrer hammermäßigen Death Metal-Scheiben „Left Hand Path“ und „Clandestine“ zum Besten gaben, zollte ich ihnen doch bis zum Ende Tribut. Leider war ich danach zu kaputt für die SPIRITUAL BEGGARS, für die alle soooo geschwärmt haben. Die zwei Songs, die ich noch „geschafft“ habe, haben mich auch ziemlich begeistert. Kann Michael Amott überhaupt irgendwas falsch machen? Auch auf MORBID ANGEL konnte ich mich nicht richtig konzentrieren. Ich hab auch kaum was gesehen in dem Gedränge... die Pause war mehr als nötig.
Headliner-Gigs (die deutlich länger sind als die anderen) auf so ‘nem großen Festival finde ich überflüssiger als feuchtes Klopapier. Bei THIN LIZZY (die aus fadenscheinigen Gründen abgesagt haben - die Veranstalter und der Präsentator RockHard fühlten sich jedenfalls gehörig verarscht) hätte man das vielleicht noch verstehen können, aber ROSE TATTOO??? Naja, wer’s mag... Mir ist diese Biker-Mucke (oder nennen wir es professioneller Heavy-Bluesrock) jedenfalls nix... Dann schon lieber RAISE HELL. Obwohl ich mir von den schwedischen Jungspunden nicht viel mehr als hübsche Gesichter erwartet hatte. Aber dann - halt die Esse fest! Da wurde tierisch losgerockt, kraftstrotzend, selbstbewusst, unheimlich mitreißend... Da hab selbst ich vergessen, dass ich am nächsten Tag 550 km heimfahren musste und das mit steifem Nacken nicht sonderlich angenehm ist... Alle Achtung! Das ganze Black Metal-Zubehör - inklusive Schminke - hat man wohl den kleinen Brüdern vermacht und versucht sich heuer an einer nicht konkret einzuordnenden, weil eigenständigen Mischung aus Thrash und Death Metal. Äußerst empfehlenswert! Bis auf die zwei nicht sonderlich ansehnlichen und auch nicht sonderlich begabten Tänzerinnen, die die Jungs beim letzten Song auf die Bühne holten, wohl um ihr angestrebtes Aufreißer-Image zu stärken. Die hätten sie stecken lassen sollen. Das war nix.
KNORKATOR nachts spielen zu lassen, ist fast schon doof, weil, dann sieht man ja die bekloppten Anzüge gar nicht richtig. Vielleicht hat Stumpen sich deswegen getraut, fast nackich im Handstand über die Bühne zu tanzen. Obwohl - dem ist auch so alles zuzutrauen. Der singt auch noch während des Erkletterns der Traverse und während dreiminütigen Rumhüpfens goldrichtig und ohne außer Atem zu kommen. Ob der wohl jemals eine halbe Sekunde lang stillgesessen hat? Der Gemüseschredder hat im Gegensatz zum With Full Force diesmal funktioniert und die Meute schön fett eingesaut. Auch „Weg nach unten“ haben die genialen durchgeknallten Ossis präsentiert. Eine Innovation hatten sie ebenfalls noch parat: ausrangierte (nehm ich mal an!) PC-Monitore an ihren Kabeln durch die Luft zu schwingen und - natürlich - dann kaputt zu machen. Was für eine desaströse Energie! Das war wiedermal das perfekte Lach-Bauchmuskeltraining! Es tut mir richtig leid um die aus fernen (oder auch nahen) Ländern angereisten Besucher, die ziemlich dumm rumstanden, kein Wort verstanden und nur sich wundernd die Köpfe schüttelten...
Genug der Mucke! Das muss reichen. Ich kann nicht mehr! Weitergehende Informationen finden sich in jedem einschlägigen Mag oder unter www.wacken-open-air.de.
Bleibt eigentlich nicht mehr viel zu sagen... außer dass das Bier mit 4 DM für 0,3 Liter und auch das Essen vergleichsweise teuer waren, die Sache mit den Klos immer noch nicht zur einigermaßenen Zufriedenheit funktioniert und die penetrante, überalle Anwesenheit der grünen Volksbeschützer (was für Wacken eine mir unverständliche Neuerung darstellt) nicht besonders zu einer entspannten Stimmung beitrugen. Grüße an den Schein-Komatösen, der den Sanitätern direkt von der Trage sprang, an den Cowboyhutträger, der auf einer Whiskeyflasche astrein Gitarre spielte (nennt man das dann Whiskey- statt Luftgitarre?) und an den Müden, dem mein Auto so gut gefiel, dass er ‘ne halbe Stunde auf dessen Motorhaube pennte. Und natürlich an den „Ein-Whiskey-ist-kein-Whiskey--700-Whiskey-sind-ein-Whiskey“-Funkferngesteuerten vom anderen Stern!
METAL WILL NEVER DIE!!!!!
 






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