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Der grosse Preis – Leipzig wählt die Band des Jahres 1999
von *tf

Das Positive vornweg. Die professionell aufgezogene Organisation des Spektakels durch den Veranstalter - die Leipziger ig pop -  war bestens gelungen. Zwei Bühnen an den Stirnseiten im Saal des Haus Leipzig, ausgestattet mit umfangreicher Soundtechnik und stimmungsvoller Beleuchtung ließen die Atmosphäre eines wichtigen Events aufkommen und ungefähr 1000 vorwiegend jüngere Musikfreunde und –freundinnen waren interessiert an den angekündigten Topacts der Leipziger Musikszene. Ein Who-is-who längst verstorben geglaubter Szenegrößen und Wichtigmenschen von anno dunnemals tummelte sich dabei mittenmang unterm bunten Völkchen, das in schöner Vielfältigkeit modische Accessoires vom Iroschnitt über die darmwindfreundlichen HipHopHosen bis zum legendären Hirschbeutel durchs Foyer flanieren ließ.

Punkt acht Uhr eröffnete ig-pop-Chefin Marion Kluth den Reigen bunter Melodien, und damit begannen für den geneigten Rezensenten eher qualvolle, weniger lustvolle Stunden musikalischen Dauerfeuers.

Obschon man bei den „absoluten Beginners“, wie der Moderator sich auszudrücken beliebte, nicht direkt von einer feurigen Angelegenheit sprechen kann. WESTWERK, eigener Auskunft nach „elektronisch angelegte Musik mit Popappeal“ produzierend, konnten mich wie schon bei ihrem Auftritt in der Veranstaltungsreihe „Rock the church“ im letztjährigen Herbst nicht vom Hocker reißen. Die marushamäßige Attitüde der Sängerin gepaart mit anderthalboktavigem Stimmumfang, welcher einzig beim Einsatz harmonistischer Effektgeräte Expressivität vorgaukelte, vermochten mich ebensowenig zu überzeugen wie dero unbeholfen wirkende Körpersprache. Die Krönung bildeten naiv-kokettierende Ansagen, liedinterne Zwischenrufe („jetzt kommt meine Lieblingsstelle!“) und speziell die Erklärungen zu den englischsprachigen Werken. Hier erlebte ich eine Zeitreise in die frühen achtziger Jahre, als in Leipzig noch eine Institution namens „Talentestudio“ inklusive der dort zu erlebenden Unbekümmertheit auftretender Nachwüchsler von sich reden machte.
Wieviel besser hatte es der westwerkige Monsieur le Compositeur, der sich hinter seinen Keyboards verschanzen konnte und nur ab und an fachmännisch nach oben schaute, die Wirkung seiner Endlosschleifen auf das Auditorium prüfend. Für das letzte Drittel ihrer Darbietung hatten sich die Elektronikpopper noch was ganz Feines ausgedacht: ein Gitarrist erklomm die Bühne, um von nun an mit hemdsärmlig einfachem Akkordspiel einen laut Selbstdarstellung „zusätzlichen Gegenpol zum computerisierten Konstrukt“ zu schaffen. Dieser war freilich vorhanden, nur blieb es eine rein klangerzeugungstechnische Polarität. Musikalisch ordnete sich das saiteninstrumentale Virtuosentum dem unerkennbaren künstlerischen Konzept unter.

DUN ES TAK outeten sich gleich zu Beginn ihrer Darbietung als zielsichere Trittbrettfahrer der Mystik-trifft-Stampfbeat-Welle. Unverkennbar professionell geriet das Bühnenbild, welches monumentale Orgelpfeifen mit großer Faschingsumzugtrommel und Gong paarte. Licht aus – nur deutungsschwanger kreisende gebleichte Hände und schemenhafte Gesichter sind zu sehen. Eine tiefe Stimme aus dem Off zelebriert in akzentfreiem Latein den Hauch mittelalterlicher Düsternis. Als das Licht etwas stärker entdimmert wird, sieht der Zuschauer kapuzenverhüllte Gestalten mit Laternen über die Bretter huschen, der Rhythmus setzt ein und beim geneigten Rezensenten kommt das Gefühl auf, dass ihn nun Klischee statt Originalität, Kitsch statt Kunst erwartet. Dieses Gefühl täuscht nicht. Schon schlagen starke Männer mit freiem Oberkörper auf die Trommeln ein. Der Zeremonienmeister stolziert ganz in schwarzem Leder siegessicher in den Mittelpunkt und eine schwarz angemalte Ziege hämmert mit ihren Hufen auf einem nicht spielfähigen Keyboard herum.
Oh nein, Verzeihung. Das ist gar keine Ziege, nein der Leibhaftige selbst ist es, den die Combo auf der Bühne platziert hat. Nur leider suggeriert die Maske, unter der sich ein wackerer Dun-es-tak-ler verbirgt, ebensoviel ungezügelte schwarzmagische Kräfte, wie ein adrettes Papphütchen bei einer Silvesterparty der Garant ausgelassener Fröhlichkeit ist. Nach wenigen Minuten hat auch der letzte im Publikum kapiert, dass eine Vollplaybackshow beim Grossen Preis Premiere hat. Was folgt, ist bunte Abendunterhaltung auf dem künstlerischen Niveau der Staupitzbaddisco. Spärlich gekleidete junge Damen profilieren sich als Fernsehballettnachwuchs, der gesangskastrierte Sänger in den besten Jahren versucht mit markigen Sprüchen á la „Hey!“ oder „Come on!“ und Mitklatschanimation die Stimmung weiter abzukühlen – mit Erfolg. Dabei sind DUN ES TAK vom kommerziellen Potential durchaus erfolgversprechend. Und wenn der Grosse Preis es sinnvollerweise darauf abgesehen hat, Bands im Hinblick auf kommerziellen Erfolg zu präsentieren, war das Entertainmentensemble DUN ES TAK zweifellos an der richtigen Stelle. Ein wenig Musikalität und Eigenständigkeit sollte dennoch in einem Bandwettbewerb von allen Finalisten zu erwarten sein. Fernsehkompatibilität allein darf nicht reichen.

Die dritte Band im Reigen schaffte es, die Gehörgänge wieder richtig durchzupusten. Fifty50 spielten ausgelassenen Punk im besten Kennedys-Stil, der durch rhythmische wie melodiöse Originalität eine Brücke in die Klangwelten und das Lebensgefühl der 90er schlug. Der Sänger wirbelte wie ein wildgewordener Derwisch über die Bühne, ohne an stimmlicher Qualität einzubüßen, und auch die stimmige Gitarrenarbeit konnte überzeugen. Schnoddrigkeit paarte sich mit Vitalität, kraftvolle Songs gebärend, und zum ersten Mal an diesem denkwürdigen Abend konnte der vorwiegend jüngere Teil des Publikums seinem Bewegungsdrang nachgeben und ausgelassen den traditionellen Springtanz der Punkgemeinde zelebrieren. Wenn auch das Tempo und die direkte Energieübertragung der Combo noch nicht durch das gesamte Set hindurch gelang, der durchaus überzeugende Eindruck blieb und am Ende legten die Jungs mit „I am in the air“ sogar noch einen Ohrwurm drauf. Dass fifty50 schlußendlich zum Publikumsliebling gewählt wurde, wirft ein freundliches Licht auf das Leipziger Auditorium.

BigBandSound längst vergangener Tage quirlte anschließend Pater Ralph, ein dynamischer Entertainer mit Straßenbahnsitzplatzgarantie, gemeinsam mit seinen poetischen Ergüssen zu einem süßlichen Gebräu zusammen. Obwohl sich seine deutschsprachigen Reimereien am Rande des Belanglosen bewegten, die Arrangements der vielköpfigen Besetzung glatt und farblos blieben und das Publikum die Chance ergriff, Bierstände und Toiletten aufzusuchen, liegen im offenkundigen Mangel auch die Qualitäten von Pater Ralph verborgen. Die Songs sind durchgängiges MOR-Radioformat (Was 'n das? - Anm. rls) und würden weder auf Radio PSR noch bei Hitradio Antenne Hörer dazu verleiten, mit hektischer Betriebsamkeit den Sender zu wechseln. Auch hier gilt: in kommerzieller Hinsicht ist Pater Ralph durchaus ein möglicher Shootingstar Leipziger Gefilde, wenngleich sich seine persönliche Unverwechselbarkeit auf das Areal eher krampfiger Ansagen beschränkte. Sooo originell ist es nun auch wieder nicht, in einem Gewand, welches amerikanischen Fernsehpredigern Ehre machen würde, Bruchstücke alttestamentlicher Schöpfungserzählung zu rezitieren. Wenn dann das dargebotene Rezitativ sich auf einem Niveau bewegt wie „... schuf Gott die Pflanzen. [Pause] Und eine Pflanze nannte er ... [spannungsgeladene Pause] ... Marihuana. Und er rauchte sie und sah – es war gut ...“, dann kommt sich der aufgeklärte Großstädter doch seltsam verscheißert vor. Zurück zum Musikalischen. Das nahm im letzten Drittel noch eine Wendung zum Keimzeit-Plagiat und bestätigte die Gesichtlosigkeit der Darbietung. Schade eigentlich, denn das üppige Instrumentarium und deutsche Texte hätten durchaus Potential haben können. Pater Ralph sollte sich gelegentlich eine Aufnahme des Tim-Isfort-Orchesters gönnen.

Nach der eher tranquillitorischen Performance von P.R. war das Publikum erleichtert, als W:AX die Bühne enterten. Der Vierer entlockte den Instrumenten plus weiblicher Stimme wavige Stimmungen, zu denen es sich ebenso träumend verharren wie beschwingt mitwackeln ließ. Das Konzept der Formation, zurückhaltende Instrumentalpower als Treibmittel zum um so größeren Leuchten der Gesangsparts einzusetzen, erwies sich größtenteils als überaus gut durchdacht, wenngleich die Sängerin dabei des öfteren an die Grenzen ihrer stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten gedrängt wurde. Hervorzuheben wäre an dieser Stelle noch das von W:AX zelebrierte selten zu hörende, weil sensible, filigrane und eben dadurch besonders effektvolle Gitarrespiel. Was blieb der Jury späterhin übrig, als den Grossen Preis an diese Leipziger Combo zu vergeben, noch dazu, da die Musiker offenbar ein gutes Feeling füreinander hatten, was den Eindruck ihrer künstlerischen Gesamtleistung noch hervorhob. W:AX ist auf großen Bühnen wie der im Haus Leipzig ohne Frage gut aufgehoben, da der atmosphärische Eindruck der Band durch stimmungsvolle Beleuchtung wie Benebelung vorteilhaft unterstützt wurde. Solch distinguierte Musik hätte es im Rahmen einer Kneipenmugge und ohne den mitgebrachten Fankreis sicher ungleich schwerer.

Hateful Birthday hatten es nach den W:AXlern schwer, den Raum nicht nur mit ihrer physischen, sonder auch mit psychischer Anwesenheit zu füllen. Schwebten doch überall noch die sehnsuchtsvollen Vibes positiver Energie durch die Arena – und Hateful Birthday wollen doch laut Selbstauskunft eine wuchtige schwarze Band sein. Das Einzige, was zunächst wuchtig war, kann fürderhin als Markenzeichen der Kapelle bezeichnet werden: ein treibender Bass, der sich unteren Magengegenden zuwendet und dort für motorische Unruhe sorgt. Ein durchaus tragendes Fundament also, auf das die Songs aufgebaut sind. Diese kommen genregemäß mollig harmonisiert daher und werden durch spacige Keyboardsounds zusammengehalten, treibender Rhythmik Platz schaffend. Was auf musikalischer Ebene kompakt und stimmig daherkommt, wird auch vocaltechnisch umzusetzen versucht. Dem Sologesang des Bassisten stellte sich als Zweitstimme der Gitarrist zur Seite, was zwar die jeweiligen Songs bereichern konnte, mich jedoch nicht über die 30minütige Gigdistanz zu überzeugen vermochte. Zu festgelegt der Gestus der Musik, zu wenig wandlungsfähig die Stimme des Shouters. Nach wenigen Minuten Darbietung ist klar, wo der Hase lang läuft und dass er dabei nicht vom Wege abkommt. Das ist zwar einerseits beruhigend, andererseits kann es aber auch von notorischen Meckerern wie mir als langweilig empfunden werden.

Nach kurzer Umbaupause jumpten sich Microphoenix, die Leipziger Nachwuchshoffnung im HipHopSektor, zum DJ-ing von Mister Opossum in Fahrt. Der Rapdreier beschwor in seinen Texten die Community, und die Menge wogte mit. Von den Bewegungsabläufen her eiferten Microphoenix ihren Vorbildern gekonnt nach, im Umgang mit dem gesprochenen Wort haben sie noch eine steinige Wegstrecke vor sich. Wenn in beschwörender Pose Freestyle angekündigt wird, führt es eben nicht automatisch auch zu entsprechend überzeugender Leistung. Und da wird bisweilen die Grenze der Peinlichkeit überschritten, wenn den Sprachakrobaten kein Text mehr einfällt, wenn gar einer der jungen Herren mehrmalig hilflos skandiert „ich muß jetzt die Pause überbrücken ...“ (Kult! - Anm. rls). Hier wird offenbar Bodenständigkeit mit dem Beharren auf Durchschnittsleistung verwechselt. Sich offenmundig dem Kalkül des Kommerzbetriebes zu entziehen, darf nicht als Ausweis für fehlende künstlerische Perfektion geltend gemacht werden, deren Anspruch man sich stellt, wenn der Drang zur Öffentlichkeit vorhanden ist.

Die letzten im Bunde der Finalisten waren die Bontempi Boogie Boys. Ein Name, der sich wohltuend abhebt vom Einheitsbrei mehr oder weniger origineller Bandbenamungen. Die erste freudige Überraschung blieb jedoch auch die einzige. Was im Rahmen einer Party sicher zu den Schenkelklopfern zählt, nahm sich im Rahmen der Gesamtschau Leipziger Bestleistungen auf musikalischem Sektor wie ein Fremdkörper aus. Nicht nur die Unverfrorenheit des Gitarristen, ein Instrument zu bedienen, dessen Handhabung er nicht in Ansätzen mächtig war, auch die niveaulosen poetischen Fähigkeiten der Combo ließen den Rezensenten schaudern. „Stumpfsinn, Stumpfsinn – du meine Lust!“ möchte man ausrufen angesichts der verkündeten Plattheiten, die in den längst vergangenen Zeiten der NDW mit Sicherheit kommerzielle Renner geworden wären, heute jedoch nicht einmal mehr zu belustigtem Kopfschütteln animieren können. Die Crew hat, wie sie bekennt, anläßlich einer gemeinsamen Kaffeefahrt beschlossen, Leipzigs Szene mit ihrem musikalischen wie textlichen Dünnpfiff zu beglücken. Wie vorteilhaft für die Bontempi Boogie Boys, dass musikalische Körperverletzung keinen Straftatbestand erfüllt. Ich plädiere für lebenslänglich!
 






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